Von “antideutschen Parolen” und realen Problemen

Es ist ja immer schön, wenn eigene Positionen und Äußerungen in die Öffentlichkeit gelangen, gerade wenn sich die Aufmerksamkeit dieser sonst eher wenig auf die eigene Tätigkeit richtet. Diese Gelegenheit möchten wir dann auch gerne nutzen, um über Probleme und Missstände, mit denen wir uns seit längerem beschäftigen zu informieren.
Im Herbst 2018 sind dann also die Ersti-Beutel, die der AStA jedes Jahr herausgibt, der Stein des Anstoßes. Die Beutel und ihr Inhalt dienen dazu, den neuen Studierenden einen Überblick über die Arbeit der Studierendenschaft zu geben. Als Vertretung der Studierendenschaft hat der AStA entsprechend unter anderem den Auftrag, die politische Bildung der Studierenden zu fördern (§20, Absatz 1, Satz 5 des niedersächischen Hochschulgesetzes/NHG). Außerdem sind gemäß dem NHG kulturelle Angebote zu unterstützen und zu fördern, soziale Bedürfnisse zu erkennen und den Studierenden Hilfestellungen und Unterstützung zu geben.
Entsprechend bestand und besteht die Arbeit des AStA im letzten Jahr zunehmend (aber auch schon in den letzten Jahrzehnten) aus Anklagen an die mangelhafte Finanzierung der Hochschullandschaft, steigende Mieten und die immer stärkeren Einschränkungen des Rechtes auf Bildung und Freiheit der Wissenschaft. Überfüllte Seminare, BAföG für nur ein Zehntel der Studierenden, fehlende Professuren und Stellen im Mittelbau an den Hochschulen ebenso wie Studentenwerke [sic!], die nur noch geringe öffentliche Mittel bekommen, sind dabei nur die Spitze des Eisberges. So wird das Konzept der Regelstudienzeit und weitere Auswirkungen der Bologna-Reform seit jeher durch verschiedene, insbesondere studentische Interessenvertretungen kritisiert.
In der letzten Dekade wurde die Lage der Studierenden zunehmend prekärer, ebenso wie für alle einkommensschwachen Gruppen. Bildung gewährleistet bzw. ermöglicht schon lange nicht mehr den "gewollten Aufstieg". Dass das BAföG Menschen ermöglicht, ein Studium zu beginnen ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, jedoch fallen immer mehr von ihnen gänzlich durch das Raster der Ausbildungsförderung, ohne gleichzeitig auf die oft beschworenen reichen Eltern zurückgreifen zu können. Währenddessen entsprechen die im Idealfall gezahlten Beträge, insbesondere die Wohnraumpauschale, in weiten Teilen Deutschlands (auch in Osnabrück) nicht der Lebensrealität der Student*innen. In Folge bleibt der Wunsch nach ökonomischer Stabilität vielen versagt, und es bestehen lediglich die Optionen, Schulden aufzunehmen oder zahlreiche Nebenjobs auszuführen, die nicht selten zu einer Studienverlängerung führen.
Dem Auftrag der Förderung der politischen Bildung der Studierenden sind wir in diesem Jahr neben zahlreichen Veranstaltungen auch durch den angesprochen Beutel und seinen Inhalt nachgekommen. „Für Deutschland keinen Finger krumm, 20 Semester Minimum“ stellt dabei eine Absage an die Unterordnung individueller Bedürfnisse, Begabungen und Interessen unter ein Zwangskollektiv dar, dessen Bestand und Identität tagtäglich eben durch gewaltsamen Ein- und Ausschluss gesichert werden müssen. Der Satz soll insbesondere bei neuen Studierenden zum Nachdenken darüber anstoßen, wie selbstverständlich Beschneidungen des eigenen Lebens und Lernens im Interesse dieses Zwangskollektivs hingenommen werden und wie sehr die Gestaltung des eigenen Lebens und der wissenschaftlichen Ausbildung dadurch eingeschränkt wird. So ist die so genannte Regelstudienzeit, deren Einhaltung nach Aussage des Vorsitzenden der Liberalen Hochschulgruppe (LHG) Osnabrück „doch gerade das Ziel sein [sollte]“, für viele Student*innen eben kein Ziel das „möglichst“ erreicht werden sollte. Sie ist Bedingung der Existenz als Student*in, an der BAföG-Leistungen, Studiengebühren oder die Zwangsexmatrikulation hängen. Und das Instrument der Regelstudienzeit ist eben nicht vom Himmel gefallen, sondern durch den Staat eingeführt und stellt eine nicht unwesentliche Beschränkung des Lebens seiner Insass*innen dar (wenngleich sie im Vergleich zu den vielfachen anderen Restriktionen des Lebens natürlich eher geringfügig erscheint).
Die Kritik der real existierenden, also der kapitalistischen, Gesellschaft und ihrer Ausformungen sind explizit Aufgabe des AStA. Dies gilt gleichermaßen für die Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck und seinen sozialen Ursachen, der auch vor den staatlichen Institutionen der BRD und der Praxis ihrer Organe nicht Halt macht. Speziell dafür wurde erst im Juni 2018 durch die Studierendenschaft der Universität Osnabrück ein Referat für Antifaschismus eingerichtet.
Der Inhalt der Ersti-Beutel ist teilweise durch den AStA und zwei seiner Arbeitsgruppen bzw. Projekte gestellt, teilweise durch das Autonome Fem*Ref und das Autonome Schwulen*Referat, teilweise durch zahlreiche studentische Initiativen. In den Tüten finden sich etwa nützliche Dinge wie Stifte und Kalender, lesenswertes und informatives Material wie ein Ersti-Heft, in dem die selbstverwaltete Studierendenschaft, ihre Organe, Hochschulgruppen und Initiativen vorgestellt werden, sowie Informationen über Angebote der Universität und des Studentenwerks [sic!]. Jedes Jahr werden alle Initiativen und Hochschulgruppen dazu aufgefordert, ihre Beiträge dafür beim AStA einzureichen, selbstverständlich auch liberale und konservative Gruppen. Wenn auf die diesbezüglichen E-Mails nicht geantwortet wird ist dies nicht das Verschulden des AStA.
Die durch die Studierendenschaft unterstützten studentischen Initiativen sind vielfältig: von Initiativen, die Fahrten zu Brauereien organisieren, über solche die historische Tänze anbieten bis hin zu jenen, die politische Bildung betreiben - diese Angebote stehen grundsätzlich allen Studierenden offen. Der AStA selber organisiert nur einen geringen Teil der Angebote der und für die Studierendenschaft.
Abschließend freuen wir uns sehr, dass sich anscheinend doch viele Jungpolitiker*innen in Osnabrück und an der Universität für die Belange und Interessen von Studierenden einsetzen möchten. Dazu sind diese alle eingeladen, sich gemeinsam mit uns für mehr bezahlbaren Wohnraum in Osnabrück einzusetzen, gerne auch bei den ihnen jeweils nahe stehenden Fraktionen im Stadtrat. Außerdem würden wir uns über eine rege Beteiligung an der studentischen Vollversammlung am 14. November 2018 freuen. In dieser sollen Probleme im Studium, die unter anderem eben zu überschrittenen Regelstudienzeiten führen können, thematisiert und von uns Studierenden gemeinsam mögliche Lösungen dafür erarbeitet werden.