Schweigen als "Schutz": Sexualisierte Gewalt an der Hochschule Osnabrück

Gemeinsame Stellungnahme des AStA der Universität Osnabrück und der studentischen Initiative "Arbeitskreis Kritischer Studierender" der Hochschule Osnabrück
(English version below)
 
Content-Warnung: sexualisierte Gewalt 
 
 
Im Januar wurde bekannt, dass auf einer Damentoilette der Hochschule Osnabrück vermutlich Kameraufnahmen mit einer versteckten Minikamera gemacht wurden. Folgende Informationen wurden uns dazu von der Pressestelle der Polizei bestätigt:
 
  • 1. Es gab vermutlich einen voyeuristischen Vorfall am Institut für Musik der Hochschule, nach momentanem Ermittlungsstand geht die Polizei davon aus, dass dort Kameraufnahmen auf einer Damentoilette gemacht wurden. 
  • 2. Seit dem 12.01.2020 läuft ein Ermittlungsverfahren, weshalb noch keine genauen Angaben zum Tathergang herausgegeben werden können. 
  • 3. Es gibt sichergestelltes Datenmaterial, dessen Sichtung und Auswertung derzeit im Gange ist. Menschen, die möglicherweise auf den Aufnahmen zu sehen sind, werden identifiziert und von der Polizei informiert.
  • 4. Da in dem Gebäude auch die städtische Musik- und Kunstschule untergebracht ist, ist es nicht auszuschließen, dass dort auch Kinder gefilmt wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es dafür noch keine Anhaltspunkte, doch auch dies wird erst nach Auswertung des vorliegenden Materials abschließend von der Polizei beantwortet werden können.
 
Dass die Leitung der Hochschule sich bezüglich dieses mutmaßlichen Vorfalls trotz mehrerer Artikeln in der Neuen Osnabrücker Zeitung [1] den Studierenden gegenüber nicht geäußert hat, sorgte bei vielen Studierenden für Verunsicherung. Darüber hinaus haben die teilweise widersprüchlichen Informationen der Zeitungsartikel und das Fehlen von gesicherten Informationen aus einer Hand dazu geführt, dass sich Gerüchte und Halbwahrheiten verbreiten, die diese Verunsicherung noch verstärken. Erst auf Drängen der Studierendenschaft wurde inzwischen (am 23.04.) eine E-mail an die Studierenden des Instituts für Musik verschickt, in der von "einem möglichen Vorfall an [ihrem] Institut im Januar" die Rede ist und in der auf Beratungsangebote diesbezüglich aufmerksam gemacht wird. Der Rest der Studierenden wurde und soll auch weiterhin nicht informiert werden.
 
Wir kritisieren nachdrücklich, dass die Hochschulleitung auch drei Monate nach Bekanntwerden des Vorfalls kein öffentliches Statement herausgibt und sich damit nicht aktiv gegen sexualisierte Gewalt positioniert. In Fällen wie diesem ist es enorm wichtig, potenzielle Betroffene zu begleiten und zukünftige Betroffene zu schützen. Schweigen ist hierbei immer eine Waffe der Täter*innen und ignoriert das Recht und das Bedürfnis der möglichen Betroffenen auf Aufarbeitung und Begleitung. Wir erachten es daher als dringend notwendig, dass die Studierenden und Mitarbeitenden von der Hochschulleitung informiert und dafür sensibilisiert werden, dass es auch im Hochschulkontext zu sexualisierter Gewalt kommt, wie diese in den breiteren gesellschaftlichen Kontext einzuordnen ist und welche Anlaufstellen und Hilfsangebote den (potentiell) Betroffenen zur Verfügung stehen. Eine ausführliche Sensibilisierung zum Thema sexualisierte Übergriffe wäre außerdem ein erster Schritt, um eben diesen in Zukunft präventiv entgegenzuwirken. Auch in dieser Hinsicht hätte die Hochschulleitung ihren Studierenden Sicherheit geben können, indem sie darüber informiert, welche Präventivmaßnahmen sie bereits ergreift oder nun umsetzen wird. All dies ist leider nicht passiert, stattdessen wurden die Studierenden, die Gespräche beim Präsidium angefragt haben, lediglich an den Pressesprecher (zuständig für die interne und externe Selbstdarstellung der Hochschule) weitergeleitet, der deutlich machte, dass die Hochschule nicht beabsichtigt, den mutmaßlichen Vorfall zeitnah öffentlich aufzuarbeiten.
 
In Anbetracht der Tatsache, dass in den vergangenen Monaten diese Art von sexualisierten Übergriffen gehäuft öffentlich wurde (Uni Trier [2], Monis Rache Festival [3], Fusion Festival [4]) ist der Vorfall am Institut für Musik nicht als Einzelfall zu verstehen. Direkte sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Inter und nicht-binäre Personen ist immer eingebettet in gesellschaftliche und strukturelle Machtverhältnisse, die diese Gruppen benachteiligen. Deshalb ist es wichtig, Übergriffe, wie sie auch am IfM geschehen sind, in diesem Kontext zu betrachten und sie als sexualisierte Gewalt zu erkennen, zu thematisieren und dagegen Position zu beziehen. Damit dies besser gelingt, arbeiten wir mit anderen Studierendenschaften zusammen, um hochschulübergreifend eine Sensibilisierung für diesem Themenkomplex und eine Einordnung von konkreten Fällen zu erreichen. Innerhalb der KostA (Kommission für studentische Angelegenheiten) der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen wird derzeit an einer studentischen Empfehlung zum Umgang mit sexualisierter Gewalt gearbeitet und die LandesAstenKonferenz (LAK) Niedersachsen hat sich bereits in einem offenen Brief an den Präsidenten der Hochschule Osnabrück gewandt [5]. In ihrer Rückmeldung hat die Hochschulleitung die LAK darüber informiert, dass der Hochschul-AStA (ebenfalls Mitglied der LAK) sich von dem offenen Brief distanziert hat. Von einer öffentlichen Aufarbeitung wird weiterhin abgesehen.
 
Wie das Gleichstellungsbüro der Hochschule auf seiner Website richtig aufzeigt: "Sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt stellt in allen gesellschaftlichen Bereichen ein überwiegend tabuisiertes und oftmals unterschätztes Problem dar." [6] Ein fehlender Wille zur öffentlichen Aufarbeitung solcher Vorfälle, wie wir es im Fall der Hochschule Osnabrück gerade erleben, reproduziert genau diese Tabuisierung und die Unterschätzung der Häufigkeit und Bedeutung von sexualisierter Gewalt an Hochschulen und im öffentlichen Raum allgemein und schadet so aktiv den Betroffenen.
 
 
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An dieser Stelle möchten wir euch auch Anlaufstellen nennen, an die ihr euch wenden könnt, solltet ihr sexuelle Belästigung, Diskriminierung oder Gewalt erleben:
 
- die Gleichstellungsbüros der Universität (https://www.uni-osnabrueck.de/universitaet/organisation/zentrale-verwaltung/gleichstellungsbuero) und der Hochschule (https://www.hs-osnabrueck.de/de/gleichstellungsbuero) bietet Beratung zum Thema sexualisierte Belästigung und Gewalt
- die Frauenberatungsstelle (https://frauenberatung-os.de/) bietet (anonyme) Beratung zu verschiedenen Themen an und kooperiert auch mit Universität und Hochschule
- an die Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks [sic!] könnt ihr euch mit allen psychischen Problemen oder Belastungen wenden (https://www.studentenwerk-osnabrueck.de/de/beratung.html )
- das Bundesweite Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen erreicht ihr rund um die Uhr unter 08000116016
- der weiße Ring (bundesweite Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer und ihre Familien) bietet z.B. rechtlichen Beistand an (https://weisser-ring.de/)
- Online-Handreichung “Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen” der bukof (Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V.) https://bukof.de/online-handreichung-sdg/
 
 
 
 
 
 
Silence as "Protection": Sexualised Violence at the Osnabrück University of Applied Science
joint statement of the Osnabrück University AStA and the student initiative "Arbeitskreis Kritischer Studierender" of the Osnabrück University of Applied Sciences
 
Content warning: sexualised violence
 
In January, it was reported that a hidden mini camera has presumably been used to make recordings in a women's restroom at the Osnabrück University of Applied Sciences. The following information has been confirmed by the police's press office:
 
  • 1. Presumably, there was a voyeuristic incident at the institute of music of the university of applied sciences. At this point in the investigation, the police assumes that camera recordings have been made in one of the women's restrooms.
  • 2. The incident is being investigated by the police since January 12, 2020. As the investigation is ongoing, details cannot yet be published.
  • 3. The collected data material is in the process of being analysed. People who have been filmed will be identified and informed by the police.
  • 4. As the city's music and art school is located in the same building, it cannot me ruled out that children are among those who have been filmed. Currently there is no evidence that children were being recorded, but a final answer to this question can only be given after all data has been analysed.
 
The fact that the University of Applied Sciences had not reached out to the students in spite of four articles in the local newspaper [1], led to many insecurities within the student body. In addition, the partially contradicting information of the articles and the lack of secure information resulted in the circulation of rumors and half-truths which further increased these insecurities. Only in response to the urging of student representatives did the students at the institute of music finally receive an e-mail (on April 23rd) which addressed a "possible incident at [their] instute in January" and in which the students were informed about counselling services. The rest of the students has not been informed and there are currently no plans to inform them.
 
We strongly criticize that three months after the incident came to light the steering committee of the university of applied sciences has still not published a statement to position itself and has thereby not actively positioned itself against sexual violence. In cases like this one, it is extremely important to provide support for the people who are potentially affected as well as protection from future incidents. Here, silence is always a weapon of the culprit and ignores the right and need of the (potentially) affected for support and opportunities to process and recover. We thus deem it absolutely necessary that the steering committee informs and sensitises their students and employees to the fact that sexualised violence also occurs in universities, how such incidents are to be placed in a wider societal context, and which contacts and support services are available to the potentially affected. A broad sensibilisation on mattters of sexualised violence would also constitute a first step to prevent similar incidents in the future. Also in this regard, the steering committee could have given their students some security by explaining the preventitive measures they have already taken and/or will take. Unfortunately, none of this happened and students who asked for a meeting with the steering committe were forwarded only to the press officer (responsible for internal and external presentation of the University of Applied Sciences) who made explicit that the university does not intend to handle the incident publicly in a timely manner.
 
Given the fact that occurrences of this kind of sexualised violence have increasingly been made public in the last months (University of Trier [2], Monis Rache Festival [3], Fusion Festival [4]), the incident at the institute of music is not to be understood in isolation. Direct sexualised violence against women, intersex- and non-binary people is always embedded in societal and structural power relations that disadvantage these groups. This is why it is important to consider cases such as the incident at the institute of music in this wider context, to recognise and discuss them as incidents of sexualised violence and actively reject them. In order to improve on this, we are working with other student bodies to achieve a sensitisation to and proper classification of these topics across universities. The KostA (Commission for student matters, "Kommission für studentische Angelegenheiten") of the federal conference of women's and equal opportunities officers at universities ("Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen") works on a recommendation from students for action in cases of sexualised violence and the Conference of the General Students' Committees in Lower Saxony ("LandesAstenKonfernz") has already directed an open letter towards the president of the Osnabrück University of Applied Sciences [5]. So far, no response from the steering committee has been received. In their answer, the steering committee has informed the LAK that the general students' council of the University of Applied Science (also a member of the LAK) has distanced itself from the open letter. A timely public discussion is still not intended. 
 
As the equal opportunities office of the University of Applied Sciences rightly points out on its website: "Sexual harassment and sexualised violence constitute a predominantly tabooed and often underestimated problem in all social spheres" [6]. The unwilligness to publicly discuss such incidents, as we are currently experiencing it in the case of the Osnabrück University of Applied Sciences, reproduces exactly this tabbooing and underestimation of the frequency and severity of sexualised violence in universities and in society generally and, thus, actively harms the people affected.
 
 
 
 
 
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At this point, we want to share some contacts that you can reach out to if you experience sexual harassment, discrimination or violence:
 
- the equal opportunities office of the Osnabrück University  (https://www.uni-osnabrueck.de/en/university/organisation/zentrale-verwaltung/the-equal-opportunity-office) and the equal opportunities office of the Osnabrück University of Applied Sciences (https://www.hs-osnabrueck.de/en/gleichstellungsbuero/sexual-harassment-and-sexualized-violence) provide counselling services for those who experience sexualized violence
- the Frauenberatungsstelle ("women's counselling service") (https://frauenberatung-os.de/ [German website]) provides (anonymous) counselling to various topics and cooperates with the university and the university of applied sciences
- at the psychosocial counselling of the "Studentenwerks" [sic!] you can set up counselling meetings regarding any kind of psychological troubles (https://www.studentenwerk-osnabrueck.de/en/counselling.html )
- the nationwide help hotline for women who experience violence can be reached at all times under 08000116016
- the "weiße Ring" (nationwide help organisation for victims of crimes and their families) provides for example legal support (https://weisser-ring.de/ [German website])
- Online-Handreichung “Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen” der bukof (Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen e.V.) https://bukof.de/online-handreichung-sdg/
 
[Sources are in German]
[6] German original: "Sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt stellt in allen gesellschaftlichen Bereichen ein überwiegend tabuisiertes und oftmals unterschätztes Problem dar." https://www.hs-osnabrueck.de/de/gleichstellungsbuero/sexuelle-belaestigung-und-gewalt/#c20098