Meinungsfreiheit und der Umgang mit Corona-Leugner*innen

Meinungsfreiheit und der Umgang mit Corona-Leugner*innen
Gringmuth-Anwalt fordert Unterlassungserklärung und 30.000€ Schmerzensgeld vom AStA
 
Seitdem wir uns in unserer Stellungnahme vom 01. September kritisch mit den Corona-Leugner*innen in Osnabrück und insbesondere an den hiesigen Hochschulen auseinandergesetzt haben [1], erreichen uns Kommentare und Kontaktaufnahmen aus verschiedenen Quellen. Neben dem Erhalt von Zuspruch und weiteren Informationen zu besagtem Thema, äußern sich auch Anhänger*innen und Unterstützer*innen der „Bürgerbewegung“ [sic!] [2]. Der Fokus dieser Beiträge liegt dabei zu einem großen Teil auf einer von den Verfasser*innen wahrgenommenen Missachtung der Meinungsfreiheit. So gilt unsere Stellungnahme wohl als eines von vielen Anzeichen für den gesellschaftlichen Entzug der Grundrechte und die diesbezüglich unkritische Haltung, die---so die Narrative---auch vor der Universität und ihrer Student*innenschaft nicht halt macht. 
 
Statt der „Denunziation“ von „kritisch denkenden“ Mitarbeiter*innen der Hochschulen, so fordern unsere Kritiker*innen, müssten alle Meinungen zur („Un-“)Gefährlichkeit von Covid-19 sowie zur Angemessenheit der Maßnahmen zugelassen werden---augenscheinlich auch dann, wenn sie auf unwissenschaftlichen Aussagen basieren. Anstatt „Diffamierungskampagnen“ loszutreten, müssten alle Weltanschauungen ausgehalten werden---augenscheinlich auch dann, wenn sie von menschenverachtenden Ideologien bestimmt werden. So ist es nicht nur das Recht, jegliche Aussagen ungeachtet ihres Inhalts zu tätigen, das die „Bürgerbewegung“ [sic!] durch ihre Meinungsfreiheit geschützt sieht; vielmehr spricht sie sich selbst auch ein Recht darauf zu, dass ihnen nicht widersprochen werden darf und dass ihre Aussagen nicht politisch eingebettet und zurückgewiesen werden dürfen.
 
Bereits vor der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden verstärkten Ausbreitung von Verschwörungsideologien [3], wurde das Ideal der Meinungsfreiheit insbesondere von rechten Akteur*innen benutzt, um ihnen entgegengesetzte Kritik zu delegitimieren. In der insgesamt nach rechts rückenden Gesellschaft wurden „das wird man ja wohl nochmal sagen dürfen“ und ähnliche Berufungen auf die Meinungsfreiheit zum universellen Abwehrmechanismus von AfD-Sympathisant*innen und sonstigen Akteur*innen der politischen Rechten. Von der sogenannten „bürgerlich-konservativen Mitte“ wird diese Strategie auch noch unterstützt: Schließlich sei die Akzeptanz auch dieser Meinungen in einer liberalen Demokratie unabdingbar. Menschenverachtendes Gedankengut müsse wohl einfach ausgehalten werden.
 
Gegeben des breiten Zuspruchs und der allgemeinen Offenheit  für rechte Positionen unter den Teilnehmer*innen sogenannter „Hygiene-Demos“ [4][5] ist es wenig überraschend, dass nun auch die bundesweiten „Bürgerbewegungen“ [sic!] jegliche Kritik mit der eben beschriebenen Argumentation von sich abzuweisen versuchen. Die Corona-Leugner*innen sehen daher ihre eigenen Aussagen von der Meinungsfreiheit geschützt, ihnen widersprechende Aussagen seien dies hingegen nicht---im Gegenteil, sie fielen nicht nur nicht unter die Meinungsfreiheit, sie beschränkten sogar die Meinungsfreiheit der Anhänger*innen der „Bürgerbewegung“ [sic!] und seien entsprechend Teil der verrufenen „Cancel Culture“. Im Einklang mit bekannten Strategien der neuen Rechten wird eine vermeintlich linkspolitisch dominierte Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland oder der Welt konstruiert, gegen welche der „aufrechte Michel“ aufbegehren darf und seine reaktionären Phantasien ausleben kann [6]. So wird Akzeptanz zwar eingefordert, aber nicht selbst praktiziert: vielmehr verstecken sich die „Freigeister“ hinter angeblichen Missachtungen ihrer Meinungsfreiheit und inszenieren sich selbst als Opfer. Der ihnen entgegengebrachten Kritik wird so augenscheinlich jegliche Rechtfertigung entzogen, sodass Außenstehende gar nicht erst erreicht und die kritisierten Positionen daher von ihnen nicht in Frage gestellt werden können. 
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Die aktuelle Angelegenheit rund um die „Bürgerbewegung - Osnabrück“ [sic!] findet ihren humoristischen Höhepunkt in der Unterlassungserklärung, die Herr Gringmuths Anwalt inzwischen von uns einzufordern versucht. Die Tatsache, dass es sich bei dem Anwalt von Herrn Gringmuth ausgerechnet um Eberhard Frohnecke handelt, verwundert uns dabei nicht. „Dieser soll auf seiner Facebookseite Posts der IB [Identitären Bewegung] aufgegriffen und andere weit rechte Positionen vertreten haben“ und räumte außerdem ein, „bei dem weit rechten ‚Bund freier Bürger‘ gewesen zu sein und der Burschenschaft Arkadia-Mittweide anzugehören“ [7][8]. Es hat bereits eine gewisse Ironie, dass Anhänger*innen der "Bürgerbewegung“ [sic!], die sich mit solch einer Vehemenz auf die Meinungsfreiheit berufen, ihr widersprechende Meinungen gleichzeitig nicht auszuhalten scheinen. Dass ausgerechnet ein Mitarbeiter einer von den Osnabrücker Hochschulen gemeinsam betriebenen Einrichtung, die sich selbst „als Vermittler, Dolmetscher und Katalysator zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“ [9] versteht, uns als Student*innenvertretung die inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Positionen untersagen will, ist sogar noch amüsanter. Schließlich ist es explizit nicht nur das Recht, sondern die Aufgabe der verfassten Studierendenschaft, „die hochschulpolitischen, sozialen und kulturellen Belange der Studierenden in Hochschule und Gesellschaft wahrzunehmen“ [10]. Wie wir in unserer ursprünglichen Stellungnahme ausgeführt haben, steht die Beschäftigung von sich wissenschaftsfeindlich äußernden Personen eindeutig entgegen der hochschulpolitischen Interessen der Studierenden. Gleiches gilt für die Beschäftigung von Personen, die sich in Gruppen wie der „Bürgerbewegung - Osnabrück“ [sic!] organisieren, von denen offensichtlich antisemitisches, rechtes und verschwörungsideologisches Gedankengut verbreitet oder zumindest akzeptiert wird. Übertroffen wird die Absurdität dieser Berufung auf angebliche Unterlassungsansprüche nur noch durch die Forderung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 30.000€ --- Schmerzensgeld, das zu zahlen sei, weil wir öffentlich einsehbare Aussagen von Herrn Gringmuth öffentlich aufgearbeitet und eingeordnet haben.
 
Auch ist es zumindest fragwürdig, ob die in der „Bürgerbewegung“ [sic!] kundgegebenen Aussagen gemessen an dem Ideal der Meinungsfreiheit tatsächlich vertretbar sind. Schließlich liegt der Wert dieses Ideals eben im Schutz unterschiedlicher Meinungen. Durch das hier aufgezeigte Verständnis von Meinungsfreiheit wird allerdings genau das Gegenteil bewirkt: kritische Beiträge werden eben nicht mehr zugelassen. Auch werden die Perspektiven von marginalisierten Gruppen, die in besonderem Maße von dem Ideal der Meinungsfreiheit zu beschützen wären, von sie weiter marginalisierenden Äußerungen zusätzlich geschwächt. Antisemitische, rassistische, anti-feministische und andere rechte Ideologien unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit zu tolerieren und so zu bestärken, stellt demnach eine gefährliche Perversion eben dieses Ideals dar. Wir sehen uns, aber auch den Rest der Hochschulöffentlichkeit und die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung, sich dieser Perversion entgegenzustellen. Denn letztlich kann Toleranz „nicht unterschiedslos und gleich sein hinsichtlich der Inhalte des Ausdrucks in Wort und Tat; sie kann nicht falsche Worte und unrechte Taten schützen, die demonstrierbar den Möglichkeiten der Befreiung widersprechen und entgegenwirken“ (Marcuse 1965 - [11]).
 
Daraus folgen direkte Konsequenzen für den Umgang mit Gruppen wie der „Bürgerbewegung - Osnabrück“ [sic!]. Denn diese mag noch so häufig von sich behaupten, dass sie sich politisch „abseits von links und rechts“ befände, die Gespräche in ihrer Telegram-Gruppe und ihre regelmäßigen öffentlichen Auftritte lassen sich eindeutig politisch einbetten: So werden neue Mitglieder der Gruppe beispielsweise durch einen Bot begrüßt, der rassistische und antisemitische Inhalte als unerwünscht deklariert, es folgt allerdings unmittelbar der Hinweis, sich zu diesen Themen bitte „woanders“ auszutauschen. Anstatt sich also von solch menschenverachtenden Positionen zu distanzieren und sie als im Kern nicht vertretbar aufzuzeigen, genügt es den Corona-Leugner*innen augenscheinlich, die Diskussionen über eben diese Positionen und die damit einhergehenden Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung von sich zu schieben. 
 
Würden die Mitglieder dieser Gruppe die von dem Bot vorgegebene Strategie tatsächlich verfolgen, wäre das schon zu verurteilen. Dies ist allerdings nicht der Fall: Die tatsächlichen Gespräche basieren häufig auf angeblich Eliten enthüllenden, strukturell antisemitischen Inhalten. Dies äußert sich insbesondere in dem häufigen Aufgreifen von Verschwörungsideologien, die eine scheinbar in einfachen Mustern zu funktionierende Gesellschaft zeichnen. Demnach strebten abgrundtief „böse“ Mächte nach der Zerstörung alles „Guten“ und durch diesen „Kampf“ ließen sich komplexe wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Ereignisse erklären. Oftmals werden diese „bösen“ Mächte in scheinbaren Eliten gefunden [12]. Eine der ältesten Verschwörungsideogien dieser Art ist die explizit antisemitische, auf den sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“ basierende und von den Nationalsozialisten aufgegriffene Erzählung von der „jüdischen Weltverschwörung“, wonach Pläne bestünden, dass jüdische Menschen die Weltherrschaft an sich reißen werden. Häufig sind die in der „Bürgerbewegung“ [sic!] vertretenen Verschwörungsideologien entweder bereits explizit antisemitisch oder strukturell an antisemitische Welterklärungsmodelle anschlussfähig, da sie sich ebenso auf eine kleine verschworene Gruppe an Menschen beziehen, die die Geschicke der Welt aus böswilligen Motiven und zu ihrem eigenen Vorteil leiten würden [13][14].
 
Wenn die „Bürgerbewegung“ [sic!] also Kritik von sich weist und sich auf ihre Meinungsfreiheit beruft, beanspruchen sie letztlich ein Recht darauf, menschenverachtende Inhalte wie zum Beipiel Antisemitismus zu verbreiten; wie eben beschrieben pervertiert diese Forderung das Ideal der Meinungsfreiheit, indem letztlich Perspektiven von marginalisierten Gruppen aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung gedrängt werden. Diesem falschen Verständnis von Meinungsfreiheit entgegenzutreten ist essentieller Bestandteil jeglicher antifaschistischer Arbeit. Denn „[e]s läuft etwas grundlegend falsch, wenn das, was als freie Meinungsäußerung toleriert und geschützt wird, in seinen wirkungsvollsten Erscheinungen Sozialchauvinismus, Rassismus und Sexismus propagiert. Diese Propaganda ist Element des rechten Hegemonieprojekts, das seinen menschenfeindlichen Worten längst Taten folgen lässt. Der Widerstand dagegen kann keine Rücksicht auf die Maßstäbe der selbsternannten Mitte mit ihrem abstrakten Prinzip der Meinungsfreiheit nehmen“ [15].

Im Anhang sind einige beispielhafte Screenshots aus der Telegram Gruppe sowie Kommentare zu unserem Statement vom 01.09.20 zu sehen.

 
[2] Unter diesen Unterstützer*innen befand sich ebenfalls eine Person, die im kommenden Wintersemester einen Lehrauftrag an unserer Universität innehat. Wir haben diesen Fall an die Universitätsleitung herangetragen und stehen nun mit dem entsprechendem Dekanat in Kontakt.
[8] Eine politische Einbettung der Burschenschaft Arkadia-Mittweida findet sich hier: https://bit.ly/2RlKLTd
[10] §20 Abs.1 S.4 NHG
[12] Das „scheinbar" ist hier hervorzuheben. Verschwörungsideolog*innen wähnen sich zwar oftmals in einer Gegnerschaft zur Elite, sind es aber in der Regel nicht tatsächlich. So sind z. B. Themen wie die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften oder Paketbot*innen während der Pandemie kein Thema, sondern es wird eine sofortige Rückkehr zum Normalzustand gefordert, womit sie eine zentrale Überschneidung mit Forderungen gewisser Kapitalfraktionen (Elite) aufweisen. Zudem bietet die Springer-Presse ihnen eine große Plattform, was meist auch nicht für einen Konflikt mit Eliten steht. 
[15] https://bit.ly/3bTzMK1
(Artikel aus der AStA Zeitung des AStA Uni Frankfurt: Stop Talking - Argumente gegen die "Mitte" und "Meinungsfreiheit" (S. 5f.), im Original veröffentlicht von NIKA)