Schreiben zum Thema Anwesenheitslisten

Rechtliche Bedenken des AStA (Juni 2010)

Dieses Schreiben wurde vom AStA an die Justitiarin der Universität Heidi Griefingholt versendet.

Sehr geehrte Frau Griefingholt,

im Namen des Allgemeinen Studierendenausschusses möchten wir Sie bitten, ein Rechtsgutachten anzufertigen, das die Rechtsgrundlagen der Pflicht zur regelmäßigen Anwesenheit und des Führens von Anwesenheitslisten an der Universität Osnabrück, sowie deren Reichweite, prüft.

Hinsichtlich der derzeit geübten Praxis, müssen wir leider mit Blick auf landes- und bundesrechtliche Bestimmungen, sowie die Grundsätze der Satzungsautonomie, rechtliche Bedenken äußern:

I. Als Beispiele, die uns ungeeignet und, in den Fällen einer potentiellen Eignung zumindest unverhältnismäßig erscheinen, können wir aus der Vergangenheit auf die folgenden Situationen verweisen, die uns sämtlich von der Studierendenschaft glaubhaft vorgetragen wurden:

1.) Die Aufforderung seitens des Dozenten, sowohl Personalausweis als auch Führerschein vorzuzeigen, um die dortigen Unterschriften mit der geleisteten Unterschrift auf einer Anwesenheitsliste zu vergleichen.

Hier weisen wir darauf hin, dass ein Führerschein ohnehin schon kein Dokument ist, das jeder Studierende besitzt, und das Verlangen der Vorlage solcher Dokumente daher fragwürdig ist. Auch die Vorlage eines Personalausweises der BRD oder eines Bundesreisepasses wirft hinsichtlich der Aussagekraft Fragen auf, da sich Unterschriften im Laufe der Zeit ändern können.

2.) Das Aufrufen der Namen der in der Teilnehmerliste vermerkten Studierenden und Abhaken dieser Namen nach Anwort der aufgerufenen Studierenden.

Wir halten es für bedenklich, wenn in einer Veranstaltung die der Bildung von Studierenden, die zu selbstverantwortlichen und mündigen Fachkräften ausgebildet werden sollen, dienen sollte, durch solche Maßnahmen Zeit verschenkt wird, die sinnvoll einzusetzen wäre. Im Übrigen ist eine solche Handhabe der Inbegriff des Misstrauens gegenüber der Studierendenschaft und ein Akt der öffentlichen Bloßstellung. Schließlich ist auch der Name ein persönliches Datum i.S.d. BDSG, die Verbindung von Name und Person muss also im Ermessen des Studierenden bleiben, und darf nicht durch Aufruf und Pflicht zur Meldung in die Hand des Dozenten gegeben werden.

3.) Das Unterlassen des Herumgebens einer Anwesenheitsliste und statt dessen nach Ende des Seminars von den Studierenden eine Reihe bilden zu lassen und jeden Studierenden einzeln vortreten und vor den Augen des Dozierenden die Anwesenheitsliste unterschreiben zu lassen.

II. Des Weiteren fragen wir uns, welche Sanktionen gegenüber einem Studierenden zulässig sind, wenn der Verdacht vorliegt, dass dieser eine Liste gestohlen habe?

Wenngleich die Dozenten als Amtswalter der Universität zwar u.U. im Namen der Universitätsleitung ein Hausrecht ausüben können, sehen wir weitere Möglichkeiten, insb. eine körperliche Durchsuchung im Rahmen der StPO, als unzulässig an. Kann also ein Dozent ein Beweisverfahren führen, um diesen Verdacht zu beweisen?

Darf ein Dozent einen verdächtigten Studierenden auffordern, seine Tasche durchsuchen zu lassen? Was geschieht, wenn eine Anwesenheitsliste abhanden gekommen ist und die dort vermerkten Informationen über Anwesenheit und Abwesenheit bei vergangenen Sitzungen nicht mehr zugänglich sind? Darf ein Dozierender in diesem Fall Sanktionen für alle Veranstaltungsteilnehmer verhängen?

Sofern nicht auch eine rechtliche Möglichkeit, die effektive Führung und Abgabe der Anwesenheitslisten durch den Dozenten sicherzustellen besteht, was zu prüfen wir Sie ebenfalls bitten, halten wir Anwesenheitslisten für nicht repräsentativ. In diesem Falle ist bereits ihre Geeignetheit zum orginären Zweck, der Feststellung der Anwesenheit von Teilnehmern, nicht mehr gegeben. Ihre Verwendung zur Erreichung jedweder sonstigen Ergebnisse sähe sich dann derselben Kritik ausgesetzt.

III. Inwiefern sind Anwesenheitslisten geeignet, als Instrumente zur Überprüfung von Leistung zu dienen? Ist Anwesenheit bei Veranstaltungen eine Leistung?

Ungeachtet der obigen Bedenken (II.), kann eine Rechtfertigung von Anwesenheitslisten unserer Ansicht nach ohnehin nur soweit zulässig sein, wie sie die Erbringung einer Leistung im Rahmen der jeweiligen Studien- oder Prüfungsordnung betrifft. Wir bitten Sie, die Korrektheit dieser Ansicht in Ihrem Gutachten zu behandeln, und die sich im Falle des Übereinstimmens mit unserer Auffassung anschließende Frage, ob Anwesenheit überhaupt eine solche Leistung darstellen kann, in Ihrem Gutachten zu würdigen.

IV. Vorausgesetzt, dass die Zulässigkeit von Anwesenheitslisten für alle Veranstaltungen (notwendige Ausnahmen wie z.B. bei Belehrungen vor Laborpraktika, Exkursionen, etc. erkennen wir natürlich an) überhaupt gegeben ist, interessieren wir uns für die Frage inwiefern die Regelung, maximal zweimal im Semester bei einer Veranstaltung ohne Entschuldigung fehlen zu dürfen, um noch einen Leistungsschein zu bekommen bzw. zu Prüfungen zugelassen zu werden, vertretbar ist. Selbiges gilt entsprechend für die Veranstaltungen, bei denen die Notwendigkeit einer ausnahmsweise zu führenden Anwesenheitsliste nicht bestritten wird.

Dies insbesondere gegenüber Studierenden in prekären finanziellen Verhältnissen, die ihr Studium durch Arbeitstätigkeiten finanzieren müssen oder gegenüber Studierenden mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen? Welche Art von Entschuldigungen darf ein Dozierender verlangen, um ein Fehlen als entschuldigt zu werten und damit die Regelung, zweimal unentschuldigt fehlen zu dürfen, nicht zu berühren? Die momentane Handhabe ist leider unserer Ansicht nach zu intransparent, um dem Studierenden die Möglichkeit zu geben, eventuell unabwendbare Fehlzeiten eigenverantwortlich und als Teil seines Studienplans zu organisieren, ohne dabei in die Gefahr zu kommen von Prüfungen ausgeschlossen zu werden, bzw. den Nachweis von Lern- und Prüfungsleistungen versagt zu bekommen.

V. Im Folgenden möchten wir Ihnen exemplarisch an zwei Studiengängen, dem Diplomstudiengang „Psychologie“ sowie dem entsprechenden Bachelorstudiengang, stellvertretend für viele andere, die zwei gängigen Handhabungn der streitigen Anwesenheitslisten vorstellen. Beide Vorstellungen beziehen sich auf die jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen in derzeit geltender Fassung.

1.) Diplomstudiengang

Im Rahmen des v.g. Studiengangs ist es durch die Studien- und Prüfungsordnungen vorgesehen, dass für die Zulassung zur Diplom(vor-)prüfung Leistungsnachweise aus diversen Lehrveranstaltungen nachzuweisen sind (§§ 9, 14 DPO-Psychologie).

Dieser Leistungsnachweis ist in § 10 der StudO-Psychologie als eine „Eigenleistung des Studierenden“, exemplarisch z.B. durch Referate oder Klausuren, definiert. Auf die Aufzählung von schierer, körperlicher Anwesenheit wurde unserer Ansicht nach aus gutem Grund verzichtet, da Anwesenheit ein Zustand aber eben keine eigenständige Leistung ist.

Darüber hinaus finden sich in DPO- und StudO-Psychologie keine weiteren Regelungen darüber, was ein „Leistungsnachweis“ sei. Mangels einer Regelung in v.g. Satzungen sind subsidiär die Vorschriften des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) und, sofern gegenüber dem Landesrecht anwendbar, des Hochschulrahmengesetzes (HRG) heranzuziehen.

Unter Anlage dieser Gesetze haben wir Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Maßnahme, Anwesenheitslisten als obligatorischen Teil eines Leistungsnachweises, und damit als Zulassungsvoraussetzung zu behandeln:

a) § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NHG i.V.m. Art. 4, 5 der Verfassung des Landes Niedersachsen (NV) (subsidiär auch: § 2 Abs. 4 Satz 1 HRG), erlegt der Hochschule die Aufgabe auf, an der „sozialen Förderung der Studierenden“ mitzuwirken, insbesondere auch „Bedürfnisse von Studierenden mit Kindern“ zu achten.

Diese Aufgabe wird durch starre Anwesenheitspflichten konterkariert und die betroffenen Studierenden bei der Wahrnehmung ihrer von Verfassungs wegen gebotenen elterlichen Sorge im Rahmen des Art. 6 GG behindert. Dies halten wir für äußerst bedenklich.

b) § 7 HRG, erklärt die Vorbereitung auf ein „berufliches Tätigkeitsfeld“ und die Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten und „verantwortlichen Handeln“ in einem „freiheitlichen Rechtsstaat“ zum Ziel des Studiums. Ein berufliches Tätigkeitsfeld, das als Vorbildung vertiefte Kenntnisse in pflichtweiser Anwesenheit erfordert, ist uns schlichtweg unbekannt.

Auch die Ausbildung zum wissenschaftlichen Arbeiten in eigenständiger, verantwortlicher Weise kann unserer Überzeugung nach nicht dadurch gefördert werden, dass man den Studierenden zuvor die Möglichkeit der selbstverantwortlichen Studienplanung versagt.

Auch unter diesem Aspekt halten wir die beschriebene Handhabung für rechtlich bedenklich.

c) § 4 Abs. 4 Satz 2 HRG, erlaubt der Hochschule eine Regelung des Studiums insoweit, als dadurch die „ordnungsgemäße Durchführung des Lehr- und Studienbetriebes“ gewährleistet wird, und sie zur Sicherstellung des „ordnungsgemäßen Studiums“ dienen.

Wir haben Zweifel daran, dass ein Fernbleiben von einzelnen Terminen der Lehrveranstaltungen, die Durchführung des Lehr- und Studienbetriebes gefährdet – abwesende Studierende sind, im Vergleich zu anwesenden, gerade durch eine besondere Ruhe und Friedfertigkeit in der Veranstaltung (nicht) wahrzunehmen.

Das ordnungsgemäße Studium wird ebenfalls dadurch nicht gefährdet, da, wie dargelegt, eben gar keine Rechtsgrundlage besteht, die verletzt werden könnte. Insbesondere behindert die beanstandete Maßnahme die Erreichung des Studienziels, anstatt es zu fördern.

Diese Überlegungen bitten wir Sie, in Ihrem Gutachten zu bedenken.

2.) Bachelorstudiengang

Ähnlich verhält es sich im Ergebnis mit Studiengängen, die auf Grund der jeweiligen Regularien eine Pflicht zur passiven Teilnahme vorsehen – in diesen Fällen gründen wir unsere Bedenken auf die Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 NHG i.V.m. Art. 4, 5 NV, §§ 7, 4 Abs. 4 Satz 2 HRG).

Gemäß § 17 Abs. 1 PO-Bachelor-Psychologie i.V.m. Anlage 2 zur PO, beinhaltet die Bachelorprüfung auch Studienleistungen, die in § 17 PO-Bachelor-Psychologie selbst, sowie in der Anlage 2 zur PO, nicht definiert werden.

Entsprechende Ausführungen, in Form eines Kataloges der Module des Studiengangs, werden in § 17 Abs. 3 PO-Bachelor-Psychologie i.V.m. Anlage 5 zur PO gemacht.

Dort wird für die einzelnen Module i.a.R. die „regelmäßige Teilnahme an der Vorlesung / dem Seminar“ vorausgesetzt (Studienleistungen). Im selben Satz ist ebenfalls (bezugnehmend auf das Modul B-Psy-101) von der „Teilnahme und aktiven Beteiligung am Praktikum“ die Rede. Die gemeinte Teilnahme an der Vorlesung ist, dem Wortlaut folgend, also eben keine aktive. Der Fachbereich geht offenbar von einer „passiven Teilnahme“, oder eben rein körperlicher Anwesenheit, aus.

Das Erfordernis einer solchen Anwesenheit sehen wir nicht, wenn gleichzeitig andere Studienleistungen, wie die aktive Teilnahme am Praktikum oder Hausarbeiten (z.B. B-Psy-125), oder – und vor allem – Prüfungsleistungen, wie z.B. Klausuren oder mündliche Prüfungen (B-Psy-111 ff.) vorgesehen sind.

Neben diesen in einem sachlichen Zusammenhang mit der Veranstaltung stehenden Möglichkeiten der Leistungsmessung bleibt unserer Ansicht nach für eine weniger geeignete Maßnahme, wie das Führen von Anwesenheitslisten, kein Raum.

In der Praxis stellt es sich tatsächlich so dar, dass die Minimalanforderung der Studienleistungen, eben die Anwesenheit, erfüllt wird, die Studierenden allerdings die Zeit damit verbringen für andere Veranstaltungen zu lernen, teils durch Kopfhörer o.Ä. auch von der eigentlichen Veranstaltung abgeschottet. Eine auf diese Weise befolgte Regelung muss allerdings zwangsläufig eine Frage an ihrer Sinnhaftigkeit, und damit: ihrer Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, aufwerfen.

VI. Fazit

Wegen dieser Bedenken halten wir die entsprechenden Regelungen in Prüfungs- und Studienordnungen der betroffenen Studiengänge für unvereinbar mit höherrangigem Recht, und damit für rechtswidrig. Mithin wären auch die auf diese Rechtsgrundlagen gestützten Maßnahmen rechtswidrig. Selbiges gilt für Maßnahmen, die gleich einer solchen Rechtsgrundlage entbehren.

Im Zuge einer Entspannung, und damit Verbesserung, der Lernatmosphäre in den betroffenen Studiengängen, und um Rechtssicherheit für die betroffenen Studierenden zu schaffen, bitten wir Sie darum auch diese Erwägungen einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen.

Im vergangenen Dezember gab es in vergleichbarer Angelegenheit bereits eine Stellungnahme des Justitiariats der Universität Duisburg-Essen, welche sich auf das Nordrhein-Westfälische Hochschulgesetz (insbesondere § 4 Abs. 2 Satz 3) und das Hochschulrahmengesetz (§ 4 Abs. 4 Satz 1) stützt. Die besagte Stellungnahme finden Sie in Anlage. Im Übrigen finden Sie, hinsichtlich der Bedenken zu III. ein Schreiben des Prorektoren für Bildung der TU Dresden, Prof. Dr. Karl Lenz, betreffend die Relevanz von Anwesenheitslisten in Anlage.

 

Wir danken Ihnen bereits im Vorfeld für Ihre Zusammenarbeit und stehen für Rückfragen während unserer Sprechzeiten oder per E-Mail zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,

Lukas Kremkau

Gerrit Leelkok