Alte Geschichte der Uni Osnabrück - Wo die Neueste Geschichte einfach ignoriert wird: Stellungnahme des AStA zum geplanten Vortrag mit Egon Flaig

Tl,dr (Zusammenfassung)
Egon Flaig soll im Rahmen einer Vortragsreihe, die durch die Alte Geschichte organisiert wird, einen Vortrag halten. Egon Flaig ist nicht nur für seine wissenschaftlichen, sondern vor allem auch für seine rechten und revisionistischen Ansichten bekannt. Trotz vorheriger Kritik der Studierendenschaft und Kolleg*innen aus dem Historischen Institut hält die Alte Geschichte an der Einladung von Egon Flaig fest. Die Quintessenz seiner Theorien, besonders seines neuesten Buches, ist eine Vorstellung, dass unterschiedliche Kulturen nicht vereinbar seien und sie sich nur in homogenen abgeschlossenen Räumen entwickeln könnten. Die aufgeklärten, überlegenen Kulturen müssten dann in kriegerischen Akten gegen diejenigen vorgehen, die pauschal als antiaufklärerisch (z. B. islamisch geprägt) gewertet werden. Das Ziel wäre dann so etwas wie eine homogene säkulare Weltrepublik, die aus dem Kampf der Kulturen hervorgeht. Auch als Unterzeichner einschlägiger Petitionen oder durch eine indirekte Rechtfertigung des Mordes an Walter Lübcke fällt Egon Flaig besonders auf. Dass Universitäten Rechtsintellektuelle wie Egon Flaig immer wieder einladen, liegt auch daran, dass dem Wissenschaftsverständnis von Max Weber folgend eine angebliche Trennung von Wissenschaft und Politik zu den Gütekriterien von "guter" Wissenschaft gehört. Eine herrschafts- und ideologiekritische Perspektive hierauf und auf Wissenschaft im Allgemeinen macht jedoch deutlich, dass Wissenschaft auch immer mit beteiligt ist an der Aufrechterhaltung bürgerlich, kapitalistischer Ungleichheiten und Ausbeutungen.
Basierend auf einer verkürzten Anwendung der linken Theorie der kulturellen und politischen Hegemonie von Antonio Gramsci versuchen Rechte die Deutungshoheit über gesellschaftliche Diskurse zu erlangen, weshalb ein Nicht-Auftretenlassen von Personen wie Egon Flaig auch Teil eines antifaschistischen Abwehrkampfes ist. 
Der AStA spricht sich daher deutlich gegen die Einladung von Egon Flaig aus.
 
 
Stellungnahme 
 
Der Althistoriker Egon Flaig soll im Rahmen einer Vortragsreihe der Alten Geschichte zum Thema "Macht, Gewalt und Geschlecht" einen Vortrag mit dem Titel "Die Grenzen von Machtkonzepten. Warum lässt sich mit Foucault und mit Bourdieu keine politische Soziologie machen?" halten. Im Veranstaltungstext hebt die Abteilung Alte Geschichte hervor, dass Flaig sich "national wie international einen herausragenden Namen gemacht" habe. Während die Abteilung sich dabei vermutlich vor allem auf seine Methodik und seine Arbeiten zum Altertum bezieht, gilt das gleiche jedoch auch für seine rechten und revisionistischen Ansichten, insbesondere zu den Themen Sklaverei und aktueller Migrationspolitik. Egon Flaig ist als wissenschaftliche und politische Person mehr als umstritten, weshalb wir uns nachdrücklich gegen seine Einladung ausgesprochen haben.
 
Die Alte Geschichte hält trotz Aufforderungen von studentischer Seite sowie aus dem eigenen Kollegium an der Einladung fest. Auf den Versuch einer internen Intervention wurde uns mitgeteilt, dass ein Lernprozess bei den Organisierenden eingetreten sei, man aber dennoch entschieden habe, den Vortrag nicht abzusagen. Die Verantwortlichen verweisen darauf, dass Flaig als Althistoriker renommiert sei - und ignorieren dabei die Tatsache, dass der Vortrag inhaltlich wohl eher der politischen Soziologie, als dem Altertum zuzurechnen ist. Trotz kritischer Stimmen aus der Studierendenschaft seit dem Zeitpunkt der Einladung im Jahr 2019 (!), fand bis dato jedoch keine Auseinandersetzung mit der Person Flaig statt. Dankbar war man uns dann jedoch für den "fruchtbaren Diskurs", den wir mit unserer Aufforderung, Flaig an der Universität keine Bühne zu bieten, angestoßen hätten – man überlege, den Zugang zur Veranstaltung einzuschränken. Praktisch, denn so würde nicht nur der Bühneneffekt verringert, sondern auch die Möglichkeit der kritischen Begleitung und Aufarbeitung der Veranstaltung durch interessierte Studierende außerhalb des Kolloquiums der Alten Geschichte verunmöglicht. Wenn die politische Rechte an unserer Uni spricht, wäre es mehr als demokratisch, der Studierendenschaft eine kritische Begleitung und Intervention zu ermöglichen. 
 
Wir sind nicht die erste Universität, an welcher Egon Flaig kritisiert wird. Die ehemaligen Studierenden der Universität Rostock, an welcher Flaig eine Professur innehatte, bemühten sich um eine kritische Aufarbeitung  seiner wissenschaftlichen Positionen [1]. Die Geschichtsdidaktik der FU Berlin nahm nach einem Vortrag 2019 Stellung und kritisiert insbesondere Flaigs Kulturbegriff, der "`Völker´ und `Identitäten´ auf statisch stellt (naturalisiert) und damit als unhintergehbare Größe verhandelt" [2]. Die Problematik dahinter wird spätestens in Flaigs Buch Zum Niedergang der politischen Vernunft deutlich, einer "Gesellschaftsanalyse" eines Althistorikers, der das Ende der Aufklärung befürchtet und den Niedergang der wissenschaftlichen Wahrheit vorhersagt. Kultur ist für den Althistoriker ein abgeschlossener, nicht veränderbarer Raum, den er ohne weitere Definition selbstverständlich verwendet, um den Islam als grundsätzlich unvereinbar mit westlichen, aufklärerischen Werten darzustellen. Durch Minderheiten und angebliche Parallelgesellschaften sieht er einen angenommenen Wertekonsens zunehmend gefährdet – wodurch Mehrheitsentscheidungen nicht mehr ausreichend anerkannt würden und die Demokratie in Gefahr sei. Schuld an der Erosion der Menschenrechte und der nationalen Werte tragen, laut Flaig, unter anderem Vertreter*innen der Kritischen Theorie und Frankfurter Schule, das Vorherrschen von Moral in politischen Entscheidungsprozessen sowie Antidiskriminierungsarbeit, welche die Meinungsfreiheit und demokratische Grundprinzipien einschränke [3;4].
Während Flaig einmal behauptet, dass Sklaverei von den Kolonialmächten letztlich eher bekämpft als befördert wurde und die kolonialisierten afrikanischen Staaten sich nur von der Unterdrückung lösen wollten, um weiterhin das eigene Volk versklaven zu können, bestreitet er auch die Existenz historischer bzw. kollektiver Traumata. Mit der Herabwürdigung dieser Traumata und des politischen Gedächtnisses marginalisierter Gruppen als "physische Zuckungen des eingebildeten Leidens ganzer Kollektive" [5] widerspricht er nicht nur psychotraumatologischer Forschung, sondern delegitimiert Positionen und Kämpfe von BIPoC und Unterstützer*innen, welche sich öffentlich und privat mit Rassismus als Erbe des Kolonialismus beschäftigen (müssen!) [6]. Solche Aussagen sind aber eventuell auch zu erwarten von einer Person, die Frantz Fanon als rassistisch und ethnopluralistisch bezeichnet, im Antikolonialismus die Zerstörung des menschenrechtlichen Universalismus sieht, den "islamischen Raum" mit dem Nationalsozialismus als Gegner der Aufklärung gleichsetzt sowie Rassismus als arabische Erfindung betitelt und dem Westen jegliche Verantwortung für die Kolonialisierung, die Sklaverei und dessen Folgen abspricht [3;7]. Die Quintessenz seines Buches Zum Niedergang der politischenVernunft ist die Vorstellung, dass unterschiedliche Kulturen nicht vereinbar seien und sie sich nur in homogenen abgeschlossenen Räumen entwickeln könnten. Die aufgeklärten, überlegenen Kulturen müssten dann in kriegerischen Akten gegen diejenigen vorgehen, die pauschal als antiaufklärerisch (z. B. islamisch geprägt) gewertet werden. Das Ziel wäre dann so etwas wie eine homogene säkulare Weltrepublik, die aus dem Kampf der Kulturen hervorginge [8]. 
 
Wonach klingt all das? Vor allem nach einer positivistischen Wissenschaftsauffassung und der Angst, als Wissenschaftler nicht mehr der Träger einer absoluten Wahrheit zu sein. Es klingt auch nach einer Sehnsucht nach einem starken, homogenen Nationalstaat, der seine Souveränität auf allen Ebenen durchsetzt sowie der Naturalisierung bzw. Essentialisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Und auch nach der Angst um den Verlust der Vormachtstellung des weißen Westens vor dem Hintergrund der Emanzipation der Unterdrückten. Auch aufgrund der Überhöhung der eigenen, westlichen Werte und der ihm bekannten Wissenschaft, erinnern Flaigs Worte eher an Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" als an eine konstruktive Gesellschaftskritik – und dieses Buch über den unweigerlichen Zusammenprall sogenannter Kulturräume war bereits in seinem Erscheinungsjahr 1996 antiquiert.
Neben diesen "wissenschaftlichen" Äußerungen positioniert sich der emerierte Professor seit einigen Jahren immer eindeutiger. So erstunterzeichnete er die "Gemeinsame Erklärung 2018", welche sich mit der Forderung nach der "Wiederherstellung" der rechtsstaatlichen Ordnung gegen eine angenommene Beschädigung Deutschlands durch eine "Masseneinwanderung" an den Deutschen Bundestag richtete. Mitgetragen wurde die Erklärung vor allem durch Akteur*innen der Nationalkonservativen, Neuen Rechten und AfD. Fleißig schreibt er auch für die Tumult – ein Magazin, das mittlerweile der Neuen Rechten zugeordnet wird [9] – und rechtfertigt nebenher indirekt in einer Lesung auch mal den Mord an Walter Lübcke [10]. 
 
Warum halten Universitäten trotzdem daran fest, Rechtsintellektuelle mit Anschlussfähigkeit an die Extreme Rechte, wie Egon Flaig, für Vorträge einzuladen? Häufig wird argumentiert, dass zwischen der politischen und der wissenschaftichen Person unterschieden werden müsse. Diese Argumentation folgt in ihrem Kern der Argumentation von Max Weber, wonach Politik und Wissenschaft strikt voneinander zu trennen seien.
Wissenschaft als objektive Analyse habe sich demnach von der Politik als persönliche Stellungnahme abzugrenzen. Demnach würde sich auch ein Drängen auf die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Wissenschaftler*innen verbieten, denn dies wäre ja ein Eingriff in die praktischen politischen Regelungen, die in bürgerlichen Demokratien den Parteien und parlamentarischen Vertreter*innen obliegen. Oder kurz: Die Wissenschaft produziert objektive Ergebnisse und die Umsetzung und Einordnung dieser in politische Prozesse obliegt Politiker*innen [11]. Dass diese, in der aktuellen Wissenschaftstheorie immer noch gültige Analyse, ihre Schwächen hat, wird beispielsweise durch herrschafts- und ideologiekritische Ansätze aufgezeigt. So formuliert Freerk Huisken die Freiheit von Wissenschaft und Lehre, und die so von staatlicher Seite postulierte Trennung von Wissenschaft und Gesellschaft, selber schon als einen "Missbrauch von Wissenschaft" [12]. Denn während sich Wissenschaft aus der Produktion gesellschaftlicher Praxis herauszuhalten hat, gilt dies andersherum eindeutig nicht. Staats- und Kapitalmacht agieren nicht nach einem wissenschaftlichen Abwiegen aller Argumente, sondern nach Interessen und nutzen dazu passende wissenschaftliche Erkenntnisse. Das Zugeständnis zu einer freien Wissenschaft zur Wissensproduktion, bei gleichzeitigem Absprechen der Produktion politischer Realität ist demnach nicht nur ein Qualitätssiegel "guter" Wissenschaft, sondern auch ein herrschaftsstabilisierendes Moment bürgerlicher Gesellschaften [13]. Da die bürgerlich, kapitalistische Gesellschaft jedoch in ihrem Kern auf Ungleichheit und Ausbeutung beruht, kommt Wissenschaft somit allerdings auch eine stabilisierende Funktion dieser Ungleichheiten und Ausbeutungen zu.
Diese Analyse zeigt, dass die angebliche Trennung von Wissenschaft und Politik keine objektive Tatsache, sondern das Ergebniss bürgerlicher Ideologie ist und somit die angebliche Tugend, sich als Wissenschaftler*in nicht zu politischer Realität zu äußern, an sich schon zu hinterfragen ist. Ob naturwissenschaftliche Erkentnisse für militärische Zwecke genutzt oder sozialwissenschaftliche Argumente zur Abwertung anderer Menschen angeführt werden, sollte einen Unterschied machen. Allein daher halten wir es für unverantwortlich, Rechtsintellektuellen wie Egon Flaig im Wissenschaftsbetrieb eine Bühne zu bieten. Es wundert nicht, dass Rechte den öffentlichen Raum und auch gerade wissenschaftiche Podien suchen, um eine angebliche Neutralität und "Sagbarkeit" von ihren Standpunkten zu suggerieren. Hinter dem viel zitierten "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen" und dem Berufen auf die angebliche Gefährdung der Meinungsfreiheit [14] versteckt sich das Bestreben nach öffentlicher Deutungshoheit. Bewusst oder unbewusst bedienen sich Neu Rechte Akteur*innen hierbei einer Strategie, die das erste mal 1985 von dem Rechtsintellektuellen Alain de Benoist beschrieben wurde. De Benoist beruft sich hierbei auf den Philosophen Antonio Gramsci, der analysiert hat, unter welchen Bedingungen revolutionäre, politische Veränderungen erfolgen können. Für Gramsci steht hierbei das Erlangen von politischer und kultureller Hegemonie im Vordergrund, da er diese, neben der direkten Ausübung von Macht durch Herrschende, als erhaltende Momente für Staaten ansieht. ("Staat = politische Gesellschaft und Zivilgesellschaft, das heißt Hegemonie, gepanzert mit Zwang.", Gefängnishefte, Heft 4, § 88) Auch wenn der Marxist Gramsci ein Gegner rechter Positionen war und sogar von den italienischen Faschist*innen verhaftet wurde, berufen sich Neu Rechte Denker*innen wie de Benoist gerne auf ihn und veruchen seine Theorien, wenn auch unvollständig und verkürzt, für eine politische Rechte anschlussfähig zu gestalten und die kulturelle Hegemonie, also die Diskurs- und Deutungshoheit, zu gewinnen. Frei nach dem Prinzip "Erst der Kampf um die Köpfe, dann der Kampf auf der Straße" [15] versuchen Akteur*innen der Neuen Rechten also aktuell den sogenannten vorpolitischen Raum zu gewinnen. Neben Zeitschriften, sozialen Medien und öffentlichen Veranstaltungen gehört explizit auch die intellektuelle Debatte zu den Feldern, durch die auf die Zivilgesellschaft eingewirkt werden soll [16]. 
Wenn wir also sagen, dass Rechtsintellektuelle, die für extrem Rechte Positionen anschlussfähig sind, wie Egon Flaig nicht an der Universität auftreten sollen, passiert dies nicht im Rahmen einer angeblichen linken Cancel-Culture; ganz im Gegenteil: Wir betonen einen notwendigen, antifaschistischen Abwehrkampf gegen die Bemühungen einer politischen Rechten, den gesellschaftlichen Diskurs nach Rechts zu verschieben, um somit menschenverachtenden Ideologien einen breiteren Boden zu bereiten.
 
Um zu verstehen, wie es dazu kommt, dass rechte Ideologien im (pseudo-)wissenschaftlichen Gewand weiterhin Platz an Universitäten finden und selbst der Ausschluss von offensichtlich rassistischen und rechten Lehrpersonen so schwer fällt, ist es jedoch auch notwendig, noch einmal auf die aktuelle Befasstheit unserer Gesellschaft zu schauen. Rechte Ideologie hat ihren Platz und Ursprung in der Mitte der Gesellschaft und ist keinesfalls ein Randphänomen. Die klare Benennung, Analyse und der Ausschluss eben dieser Positionen kann nur über eine gesamtgesellschaftliche Analyse funktionieren. Bisher fällt es Universitäten unter anderem aus obigen Gründen und dem Versuch der EInhaltung des "Neutralitätsgebotes" oftmals schwer, klar Stellung gegen Rechts zu beziehen [17]. Neutralität bedeutet jedoch nicht, rechten Positionen gegenüber tolerant sein zu müssen. Vielmehr bedeutet es, sensibel für Ideologien in der Wissenschaft zu sein, die alleine daher schon immer politisch war, als dass sie von Menschen gemacht wird. 
    
Vielleicht sollte also an Flaigs Stelle lieber frischer Wind in die Alte Geschichte gebracht werden, um endlich wirklich aus der Geschichte lernen zu können - ganz ohne Romantisierung des guten alten souveränen und vor allem homogenen Nationalstaates. Wir empfehlen dem Historischen Seminar, sich nicht mit einem passiven Lernprozess zufrieden zu geben, sondern sich aktiv gemeinsam mit der Studierendenschaft klar gegen Rechts zu positionieren und entsprechend zu handeln. 
 
 
Quellen: 
 
[3] Flaig 2017
[5] Flaig in Merkur 2011
[7] Ulrike Schmieder über Flaig, Egon: Weltgeschichte der Sklaverei. München 2009, in: HSoz-u-Kult 25.06.2010.
[11] Weber, M. (2006). Wissenschaft als Beruf (Nachdr.). Reclam.
[14] Warum Rechte Akteur*innen einen pervertierten Begriff von Meinugsfreiheit verwenden und warum dies einem Ideal von Meinungsfreiheit und dem Schutz marginalisierter Gruppen widerspricht haben wir hier bereits erläutert: https://www.asta.uni-osnabrueck.de/news/2020-13/meinungsfreiheit-und-der-umgang-mit-corona-leugnerinnen
[15] Mit solchen Formulierungen beschreibt beispielsweise die NPD ihr politisches Vorgehen.