Stellungnahme zu den hochschulpolitischen Vorstellungen im Landesprogramm der AfD Niedersachsen

Auf ihrem Landesprogrammparteitag am 6. und 7. Mai 2017 hat die AfD Niedersachsen ihr Programm verabschiedet, in dem unter anderem die bildungs-, forschungs- und hochschulpolitischen Vorstellungen des Landesverbandes formuliert werden. Da in diesem explizit auch die Schließung des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück gefordert wird, haben wir uns das Programm einmal näher angesehen. Da zudem die Hochschulpolitik neben den in der Öffentlichkeit präsenteren Positionen der AfD vergleichsweise kurz kommt, haben wir uns entschlossen, diesen Aspekt genauer zu beleuchten.
Wer das Kapitel „Zukunft erforschen, Überlieferung bewahren“ liest, wird feststellen, dass sich dort einige Problembeschreibungen finden, die auch von Studierenden und Studierendenvertretungen geteilt werden. So üben auch wir regelmäßig Kritik am Bologna-Prozess und den damit verbundenen Problemen der Verschulung des Studiums, der rigiden Regelstudienzeiten und am konstanten Prüfungsstress. Gleichzeitig sind auch wir große Freund*innen einer Verbesserung der Grundfinanzierung der niedersächsischen Hochschulen. Allerdings enden die Gemeinsamkeiten hier auch schon.
Wichtigstes Instrument der niedersächsischen AfD zur Lösung dieser Probleme wäre die radikale Senkung der Studierendenzahlen. Dazu soll auf verschiedenen Wegen der Zugang zu Hochschulen erschwert werden. Ab der vierten Klasse soll an den Schulen rigoros danach selektiert werden, wem ein Studium zugetraut wird. Dabei sollen die Gräben zwischen den verschiedenen Schulformen durch die separate Ausbildung der jeweiligen Lehrer*innen und die von Beginn an spezifischen und deutlich formulierten verschiedenen Zielsetzungen der Schulen vergrößert werden, so dass die Mobilität zwischen verschiedenen Schulformen aktiv vermindert wird. Darüber hinaus würde allerdings auch das Abitur keinen Zugang mehr zum Studium bedeuten, da hier eine „Eingangsprüfung“ vorgeschaltet werden soll. Die Erlaubnis zum Studium ginge dann allerdings mit der allgemeinen Pflicht zur Zahlung von Studiengebühren einher, die für nichtdeutsche Menschen wesentlich höher ausfallen sollen. Ein solch undurchlässiges Bildungssystem mit der forcierten Spaltung in Deutsche und Nichtdeutsche lehnen wir ab.
Aber auch der erfolgreiche Zugang zur Hochschule über alle diese Hindernisse hinweg würde nicht von wirtschaftlichen und politischen Zwängen befreien. Während sich die Niedersachsen-AfD bei der Ablehnung der Akkreditierung von Studiengängen auf die Hochschulautonomie beruft, spielt diese im restlichen Teil des Programms keine Rolle mehr. Maßgeblich dafür, ob eine Disziplin für die AfD Niedersachsen förderwürdig ist, ist zum einen die Möglichkeit der volkswirtschaftlichen Verwertung des in der Forschung erworbenen und in der Lehre vermittelten Wissens, zum anderen die Vereinbarkeit möglicher Forschungsergebnisse mit dem Weltbild der niedersächsischen AfD. Bei der Einrichtung und Förderung von Studiengängen sollen die Interessen und Bedürfnisse der deutschen Volkswirtschaft und der niedersächsischen Unternehmen stärker berücksichtigt werden, der „Forschungsstandort Niedersachsen“ soll planmäßig in eine gewinnbringende Richtung gedrängt und zum Zulieferer der Wirtschaft degradiert werden. Die politische Dimension wird deutlich bei den Forderungen nach der Schließung des IMIS an der Universität Osnabrück, des Zentrum für Gender Studies an der TU Braunschweig und des Zentrums für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Oldenburg. Eine freie Entfaltung der an den Hochschulen studierenden und arbeitenden Menschen würde somit weiter erschwert.
Die AfD Niedersachsen versteht dies als Teil ihres Kampfes gegen „Ideologie“ und „politische Einseitigkeit“ an den Hochschulen und in der Wissenschaft insgesamt. Als ideologisch gekennzeichnet werden dabei vor allem „sogenannte emanzipatorische Theorien,“ die „die Nivellierung aller natürlichen Unterschiede“ zum Ziel hätten. Unter diese als „Ressourcenverschwendung“ bezeichneten Theorien fallen insbesondere die Geschlechter- und Migrationsforschung sowie nicht näher ausgeführte „ideologisch ausgerichtete Politologie-Lehrstühle.“ Es steht somit zu befürchten, dass die Freiheit besonders der Politik- Sozialwissenschaften ihre Grenzen an den Überzeugungen der AfD findet. Die Tatsache, dass Menschen, die die Gesellschaft wissenschaftlich erforschen, nicht selten zu vollkommen anderen Ansichten über diese gelangen als Vertreter*innen der niedersächsischen AfD, scheint für diese kein Grund zu sein, die eigene Position zu hinterfragen,sondern vielmehr ein Ansporn, diesen Widerspruch auszuschalten. Dies ist ein Anzeichen dafür, dass die sogenannte „Ideologiekritik“ der AfD Niedersachsen selber auf ideologischen Füßen steht. Sie geht von natürlichen Unterschieden zwischen Menschen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Deutschen und Nichtdeutschen aus, die derart grundsätzlich seien, dass eine wissenschaftliche und kritische Beschäftigung mit diesen Verhältnissen in Forschung und Lehre nicht fruchtbar erscheint. Diese ideologische Basis, die Heimat, Nation, Staat und die heterosexuelle Familie mit Kindern als absolut setzt, durchzieht das gesamte Programm und ist als allgegenwärtige Grenze für die Entfaltung der Menschen stets präsent. Trotz ihrer Behauptung, in der Tradition der Aufklärung zu stehen, die die Emanzipation des Menschen von selbstverschuldeten Zwängen vorantreiben will, ist das Programm und somit die AfD Niedersachsen selber antiaufklärerisch, antiemanzipatorisch und durchweg ideologisch. Die Kritik an „ideologischer“ Wissenschaft ist folglich wenig glaubwürdig.
Kritik (nicht nur) an niedersächsischer Hochschulpolitik ist richtig und notwendig, die niedersächsische AfD bewegt sich in ihrem Programm allerdings in die vollkommen falsche Richtung. Ihre Alternative ist ein Rückzug ins Nationale, die Schaffung neuer und die Stärkung alter Zwänge statt ihrer Überwindung.