Veranstaltungsauftakt: Rassismus und Polizeigewalt -Eine kritische Auseinandersetzung mit der Institution Polizei

TW: Rassismus. Polizeigewalt. 
 
Dieser Artikel ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Rassismus und Polizeigewalt" entstanden. 
Am 12.11. findet eine von uns organisierte Podiumsdiskussion zu diesem Thema statt; da auch Betroffene an der Podiumsdiskussion teilnehmen können und wir diesen einen geschützten Raum bieten wollen, haben wir uns entschieden, dass die Polizei nicht auf dem Podium vertreten sein soll. Um trotzdem die Perspektive der Polizei beleuchten zu können und uns mit ihren Positionen zu der Thematik auseinanderzusetzen, haben wir jedoch vorab ein Gespräch mit der Dialogbeauftragten der Osnabrücker Polizeidirektion und einer Polizistin geführt. Die Hauptaussagen dieses Gesprächs möchten wir in unserem Artikel kritisch reflektieren. 

LINK ZUR PODIUMSDISKUSSION: https://webconf.uni-osnabrueck.de/b/ast-mog-jqc

 
Zum Hintergrund
 
Die gewaltsame Tötung George Floyds am 25. Mai dieses Jahres in Minneapolis bei einem fragwürdigen Polizeieinsatz [1], löste zuerst in den USA und danach weltweit Proteste gegen rassistische Polizeigewalt aus. Die Black Lives Matter Bewegung, auf welche sich die Proteste beziehen, erstarkte dadurch erneut. Im Zuge der Protestbewegungen, Riots und Plünderungen kam es in den USA und andernorts erneut zu Gewaltausbrüchen auf Seiten der Polizei. Auch die Erschießung von Breonna Taylor gerät wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit: die Polizisten, die für Breonnas Tod verantwortlich waren, sind noch immer auf freiem Fuß - während zahlreiche Demonstrant*innen in Louisville festgesetzt und einige sogar erschossen wurden [2]. 
 
Auch in Deutschland gingen vielerorts Menschen in Solidarität mit BIPoC (Black, Indigenous, Persons of Color) auf die Straße und positionierten sich zur Black Lives Matter Bewegung. Im akademischen Umfeld gab es vor allem politische Einordnungen und Protestaufrufe von studentischer Seite [3], vereinzelt aber auch Solidaritätsbekundungen einiger universitärer Stellen [4]. Einerseits wurde dabei Unterstützung der Proteste in den USA und Trauer um George Floyd und weiterer Schwarzer Personen*, die Opfer von Polizeigewalt wurden, signalisiert. Andererseits erhielten dadurch auch unaufgeklärte Fälle polizeilicher Gewalt und Todesfälle von BIPoC in Polizeigewahrsam in Deutschland erneut Aufmerksamkeit. Einer der bekanntesten Fälle dürfte wohl der Tod von Oury Jalloh sein, der bis heute nicht hinreichend aufgeklärt wurde [5]. Dazu kommen noch weitere Fälle der letzten Jahrzehnte, die es häufig nicht über die Reichweite der Regionalpresse hinaus geschafft haben. Wir möchten an dieser Stelle nur einige Namen nennen, von Personen, die im Polizeigewahrsam und durch Zwangsmaßnahmen (Abschiebung, Brechmitteleinsatz) umkamen oder bei Einsätzen getötet, sogar erschossen wurden: Oury Jalloh, Robble Warsame, Amad Ahmad, Achidi John, Aamir Ageeb, Halim Dener, Hussam Fadl, Matiullah J., Christy Schwundeck und William Tonou-Mbobda. Ein erkennbares Muster, welches bei all diesen Todesfällen deutlich wird, ist die mangelnde Aufklärungsbereitschaft der Behörden und die Repressionen, die Kritiker*innen treffen [6]. Die Stay Behind Foundation hat diverse Fälle rassistischer Polizeigewalt auf einer "Einzelfallkarte" zusammengefasst, um auf die Häufung dieser Vorfälle aufmerksam zu machen [7].
 
Auch in Osnabrück stieß der Tod von George Floyd die Debatte um Rassismus und Polizeigewalt wieder an: Die studentische Initiative NoLager organisierte in Reaktion auf die Ermordung George Floyds zunächst eine Kundgebung, um Solidarität mit den Protesten auszudrücken und um auf rassistische Polizeigewalt und Todesfälle von BIPoC in Deutschland aufmerksam zu machen. Darauf folgte eine große, von der im Anschluss gegründeten Black Community Foundation Osnabrück organisierte, Silent Demo, bei welcher sich über 1000 Menschen im Schlossgarten versammelten und von Rassismus betroffene Personen von ihren Erfahrungen berichteten [8]. 
 
Entgegen eines weitverbreiteten Narrativs kommt es auch im Hochschulkontext immer noch zu rassistischen Vorfällen und rassistischer Gewalt [9] und auch Studierende werden mit dem Themenbereich Rassismus in der Polizei konfrontiert [10]. Wohl auch deswegen riefen unter anderem studentische Initiativen  und Studierende unserer Universität zu den lokalen Demonstrationen und Kundgebungen auf [11], bei denen die Osnabrücker Polizei durch Zurückhaltung und teilweise sogar Abwesenheit auffiel.
 
Generell spricht die deutsche Polizei, wenn es um rassistische Polizeigewalt, racial profiling** und unaufgeklärte Todesfälle in Polizeigewahrsam geht, gerne von Einzelfällen und versucht, sich von dem institutionellen Rassismus der US-amerikanischen Kolleg*innen abzugrenzen. In einer Erklärung der Innenminister*innenkonferenz von September heißt es: "Wir verurteilen die verabscheuungswürdigen und nicht hinnehmbaren Fälle von Polizeigewalt in den USA in aller Schärfe. Genauso deutlich lehnen wir in diesem Zusammenhang aber jeden Versuch der Gleichsetzung mit der deutschen Polizei ab. Wir erleben derzeit im Rahmen von Demonstrationen, öffentlichen Debatten und in den sozialen Medien eine unzulässige Pauschalisierung und ungerechte, sowie undifferenzierte Verurteilung der deutschen Polizei [...] Das wird unserer Polizei nicht gerecht - jeder Generalverdacht verbietet sich" [12]. Mit Blick auf die oben angeführten Fälle, die oft unter Verschleppung und Verzögerung durch staatliche Organe leiden, sind die Aussagen der Innenminister*innen wenig glaubwürdig. Doch auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius behauptete zuerst einmal, dass es bei der Polizei "keinen strukturellen und institutionalisierten Rassismus", sondern "nur" Alltagsrassismus gebe und bei solchen Einzelfällen sofort interveniert werde [13]. Allein die Tatsache, dass das permanente Aufdecken rechter Netzwerke innerhalb von Polizei und Militär [14] immer wieder zu einer öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit unabhängiger Studien zu Rechtsextremismus und Rassismus innerhalb der "Sicherheits"apparate führt, sollte Anzeichen genug sein, dass es sich hier nicht um Einzelfälle handelt. Während Horst Seehofer Studien jedoch nicht für notwendig hält, da racial profiling ja verboten sei und es das also bei der Polizei gar nicht geben könne [15] (...) und die bundesweite Studie also erstmal vom Tisch war, setzte sich u.a. Boris Pistorius doch für die Durchführung einer Extremismusstudie bei der Polizei ein [16]. Nun ruderte auch Seehofer zurück. Es soll  doch Studien geben: zu Alltagsrassismus in Deutschland und zum Polizeialltag. Also werden wir erfahren, ob und wie Polizist*innen diskriminiert werden und ob es Rassismus in der deutschen Gesellschaft gibt [17]. Wir alle sind jedenfalls total gespannt auf die aussagekräftigen Ergebnisse. Dennoch gibt es auch überraschende Fürsprecher: Im Zuge der Polizeidebatte wurde auch Rafael Behr, der Polizeiwissenschaften an der Universität Hamburg lehrt, zum wohl berühmtesten Expolizisten Deutschlands. Der Soziologe setzt sich durchaus kritisch mit Dynamiken in der deutschen Polizei auseinander und nimmt im aktuellen Diskurs viel Raum ein. In einer Podcast Folge von Jung&Naiv thematisiert er z.B. Gewalt und Rassismus in der Polizei und spricht sich für die Notwendigkeit systemischer Analysen polizeilicher Übergriffe aus [18]. 
 
Doch wie läuft es eigentlich in Osnabrück? 
 
Erst vor wenigen Tagen machte die Osnabrücker Polizei Schlagzeilen: Nach dem Auftauchen eines gefilmten Einsatzes und einer Zeug*innenaussage, wird den beteiligten Beamt*innen unverhältnismäßige Gewaltausübung (moment - was ist eigentlich verhältnismäßige Gewalt der Polizei?) vorgeworfen [19]. In den vergangenen Monaten (und Jahren) berichten außerdem einige Personen von Vorfällen, die sie als racial profiling bezeichnen - im Schlossgarten hätten sie erlebt, dass sie selbst oder Personen neben ihnen Opfer von Kontrollen wurden, welche auf rassistische Vorurteile zurückgeführt wurden. Wie steht denn nun die Polizei zu diesen Vorwürfen? Welche Möglichkeiten ergreift die Polizeidirektion Osnabrück, um die zugehörigen Dienststellen bzw. Polizist*innen zu kontrollieren und strukturelle Probleme aufzulösen?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir uns mit Sabina Ide, der Dialogbeauftragten der Polizeidirektion Osnabrück [20] und einer Polizistin getroffen, die in Osnabrück bei der Kriminalpolizei im Bereich Prostitution und Menschenhandel arbeitet und sich auch mit ausländerrechtlichen Verstößen beschäftigt. Ide beschreibt sich als interne und externe Ansprechpartnerin zu Fragen kultureller oder religiöser Natur, Vermittlerin zu migrantischen Organisationen, Wohlfahrtsverbänden und religiösen Einrichtungen sowie als eine Art Korrektiv. Sie erzählt von vielen positiven Begegnungen mit Polizist*innen und migrantisierten Personen. Die anwesende Polizistin teilt vor allem persönliche Erfahrungen, berichtet von ausgebliebenen Rassismuserfahrungen und plädiert dafür, dass Heterogenität bei der Polizei zur Selbstverständlichkeit wird. Wir sprechen über Ausbildungsprogramme, Diversität, den Polizeialltag, rechte Netzwerke, Rassismus und natürlich über Einzelfälle. Im Folgenden fassen wir kurz die Hauptaussagen des freundlichen Gespräches zusammen (alles natürlich nur lokale Erfahrungswerte - niemand kann hier für die Polizei als Institution sprechen (außer uns. aber erst weiter unten im Text)!!!):
    
    1. In den letzten 10 Jahren ist wirklich viel passiert. 
Vor allem in den letzten 5. Und vor allem bei der PD Osnabrück. Insbesondere bei Führungskräften sei eine erhöhte Sensibilität entstanden. Die Stelle der Dialogbeauftragten wurde geschaffen. "Vorkommnisse" würden direkt gemeldet, in 10 Jahren habe es nie offizielle Beschwerden wegen racial profiling gegeben. Gleichzeitig gebe es die "nur weil ich schwarz bin"-Aussage ja schon seit Ewigkeiten. Es sei also immer noch wichtig, über konkrete Situationen zu sprechen. Die BLM Bewegung verstärke die natürliche Entwicklung nun. 
 
    2. Es gibt rechte Netzwerke. Die müssen aufgedeckt werden. 
Wir sind uns einig. Rechte Netzwerke bei der Polizei und rechte Chatgruppen existieren. Das lässt sich nicht abstreiten. Die sind schlimm und müssen aufgedeckt werden. Gut, dass das passiert! Umso wichtiger sei es, dass Führungspositionen rechte/ rechtsextreme Tendenzen sofort erkennen und unterbinden und Polizist*innen rassistische / rechte Kolleg*innen verpfeifen (können). 
 
    3. Interkulturelle Trainings sind Bestandteil des Ausbildungsprogramms. 
Unterschiedliche Kulturen und deren Auswirkungen auf Polizeiarbeit sind Bestandteil regelmäßiger Trainings und der polizeilichen Ausbildung. Viele Missverständnisse beruhten auf Unwissenheit und könnten durch interkulturelle Kompetenzen aufgelöst werden. Viele junge Menschen bei der Polizei hätten schon (aufgrund ihrer...Generation?) ein Gespür für kulturelle und religiöse Unterschiede. Die Normalisierung von Migration sei ein fester Bestandteil der Trainings. Die Trainings erhöhen die Sicherheit im Umgang mit...naja Kulturen eben. 
    
    4. Diversität bei Polizist*innen ist zentral für die Auflösung rassistischer Vorurteile. 
Die Polizei müsse die Zusammensetzung der Gesellschaft widerspiegeln und sei somit auf Beamt*innen mit "Migrationshintergrund" angewiesen. Sonst habe die Polizei ein Glaubwürdigkeitsproblem. Da müssten jetzt aber erstmal die Vorurteile auf Seiten potenzieller Bewerber*innen abgebaut und Barrieren gebrochen werden. Nur so könne gegenseitiges Vertrauen entstehen. 
    
    5. Es gibt Rassismus (in Einzelfällen). 
Aber nicht bei der Polizei. Also in Osnabrück. Also meistens. Und wenn doch mal jemand rassistisch wäre, würde die Person gemeldet werden. Es herrsche eine zero tolerance policy gegenüber Rassismus und rassistischen Äußerungen bei (insbesondere innerhalb) der Polizei. Die Polizei sei quasi "farbenblind" (blau ist blau?) und man sei sehr vorsichtig, auch (vor allem?) gegenüber nicht-weißen Kolleg*innen. Da Cop Culture (s.u.) dennoch ein Problem sein könne, seien Beschwerdestellen bei der Polizei wichtig. Dennoch seien Verfestigungen rassistischen Verhaltens nicht möglich, denn...
 
    6. Aufgrund der Beobachtung der Polizei durch die Medien und die Bevölkerung, also soziale und gesellschaftspolitische Kontrolle, wird jede Maßnahme mehrfach hinterfragt, bevor sie durchgeführt wird. 
(So trauen sich Polizist*innen nicht mehr, öffentlich rassistisch zu sein). Bei rassistischen Äußerungen oder Handlungen müssten sich Beamt*innen (öffentlich/ intern) rechtfertigen. Somit seien alle Kontrollen immer absolut wasserdicht. Und alle seien total sensibilisiert. Denn das Thema ist ja überall. Und der Schloga sei eben ein schwieriger Ort. 
    
    7. Begegnungen sind wichtig, denn (nur) emotionale Betroffenheit erzeugt Verständnis. 
Wenn Schwarze Menschen Polizist*innen verstehen und Polizist*innen Schwarze Menschen - dann werde alles besser. Die Polizei sollte für Prävention und Schutz stehen, nicht für Repression. Auch Perspektivwechsel ermöglichten gegenseitiges Verständnis.
    
In Osnabrück gibt es also Programme, die Vorurteile auf beiden Seiten auflösen und Migration als Normalität anerkennen sollen. Einmal die Stelle der Dialogbeauftragten sowie Programme wie das der "Polizeiscouts", über das selbst die TAZ berichtete [21]. Auch Präventionsarbeit sei ein wichtiger Bereich für die Osnabrücker Polizei: so sollen Vorurteile und Ängste auf Seiten der Migrant*innen schnell abgebaut werden. Die Polizei habe entsprechend einen sehr guten Ruf, vor allem auch bei Asylsuchenden und migrantischen Organisationen. Neuerdings arbeite die Polizei in Osnabrück auch mit der Betroffenenberatung name it! zusammen, um da Unterstützung zu ermöglichen, wo Polizeiarbeit endet. Das klingt toll. Also was ist denn eigentlich das Problem, wenn es doch in Osnabrück scheinbar so gut läuft und wir es hier scheinbar mit einem Vorzeigeobjekt für gelungene Polizeiarbeit zu tun haben? Alsoooo...
 
Struktureller und institutioneller Rassismus
 
Bei unserem Gespräch tauchte immer wieder die Aussage auf, dass Rassist*innen es nicht leicht hätten bei der Polizei - das mag vermutlich sogar stimmen - jedenfalls außerhalb rechter Netzwerke und Chatgruppen bzw. Ansammlungen rechtskonservativer Beamt*innen. Also manchmal haben es vermutlich auch einige Rassist*innen nicht so ganz leicht bei der Polizei. Bei dieser Fokussierung auf Einzelfälle und individuelle Fehltritte sowie offen vertretene rassistische Einstellungen werden jedoch zwei sehr grundsätzliche Dinge verkannt: 
    1. Es ist absolut nicht möglich, eine rassistische Grundeinstellung sowie die Sozialisation weißer Menschen einfach so durch ein dreijähriges Ausbildungsprogramm abzulegen und somit handeln auch Personen, die keine Rassist*innen sind, immer mal rassistisch. Solange es Rassismus in der Gesellschaft gibt, wird sich dieses Phänomen auch in ihren Institutionen widerspiegeln. 
    2. Struktureller und institutioneller Rassismus sowie strukturelle Gewalt des Polizeiapparates werden verkannt. Diese Strukturen sind historische Kontinuitäten, die über Jahrzehnte bzw. Jahrhunderte erwachsen sind und sich in Behörden institutionalisiert haben. Grundlagen für diese Strukturen liegen einerseits im Kolonialismus und andererseits in der Entstehungsgeschichte der Polizei als Kontroll- und Regulierungsorgan. 
Grundlagen für rassistische Praktiken wie racial profiling sind infolgedessen in Gesetzen verankert: Sei es durch die Einteilung in Staatsbürger*innen und Ausländer*innen, aus welchen sich unterschiedliche Rechte und Pflichten ableiten oder die daraus entspringende Unterscheidung in "legalen" und "illegalen" Aufenthalt - und wie sonst könnte die Polizei ausländerrechtlichen Verstößen nachgehen, wenn sie Ausländer*innen nicht anhand ihres Äußeren von Deutschen unterscheidet und so selektiert, wer kontrolliert wird und wer nicht. Zusätzlich dazu werden gewisse Gebiete als Gefahrengebiete gekennzeichnet, bei welchen "verdachtsunabhängige" Kontrollen durchgeführt werden können. Das sind nicht zuletzt Teile in ökonomisch benachteiligten Vierteln sowie öffentliche Orte, an welchen ein Aufenthalt kosten- und zwanglos möglich ist. Die Kontrollen treffen dann vor allem migrantisierte Personen bzw. BIPoC und andere marginalisierte Gruppen. Erhöhte, selektive Kontrollen führen dann teilweise auch zu einem vermehrten Auftreten bestimmter Gruppen in der Kriminalitätsstatistik - naja ihr kennt das, self-fulfilling prophecy nennt sich das Phänomen. Eine juristische Kontrolle, also eine Gewaltenteilung, ist hier nicht mehr möglich und die Polizei kreiert ihren eigenen Rechtsraum [22]. 
 
Es wäre nun mehr als naiv zu glauben, dass diese Strukturen durch fünf Jahre interkulturelle Trainings einfach aufgelöst werden könnten - und das auch noch, ohne sich die Existenz dieser Strukturen vollumfänglich einzugestehen und sich der damit einhergehenden Konsequenzen bewusst zu sein. Mal ganz davon abgesehen, dass interkulturelle Trainings an sich schon kritikwürdig sind, u.a. da sie Kulturen essentialisieren: So werden Menschen (bzw. "Fremde") in eine kulturelle oder religiöse Schublade voller Vorurteile gesteckt, aus der sie nicht mehr herauskommen. Dies bietet neue Grundlagen für Diskriminierung und verkennt kulturelle Dynamiken [23]. Auch die "Migrantisierung" der Polizei kann hier nicht ernsthaft als Mittel der Wahl in Betracht gezogen werden. Zum einen, da die Polizei nicht wirklich Diversität anstrebt: Erwartet wird hier viel mehr eine Assimilation in die Organisationseinheit, ein Aufgehen in der Cop Culture: Cop ist Cop, Uniform ist Uniform. Aus diesem Grund erleben migrantisierte Personen auch nicht zwangsläufig Rassismus bei der Polizei (nicht zwangsläufig! Es gibt genug Personen, die aus diesem Grund ihre Ausbildung abbrechen). Natürlich haben unterschiedliche Zugehörigkeiten innerhalb der Truppe einen deutlichen Mehrwert: höheres Vertrauen in die Polizei in migrantischen Communities, Mehrsprachigkeit und nach außen darstellbare Heterogenität, um weniger angreifbar zu sein [24]. Der oben angesprochene Korpsgeist erfordert außerdem Integrität und Loyalität in der Polizeikultur, erzeugt die Weitergabe von Narrativen und Mythen und resultiert im Unwillen, rassistische Vorfälle aufzuklären (s. "Einzelfälle" oben) bzw. zu ermitteln [18]. "Wenn nicht derjenige als Kameradenschwein gilt, der sich falsch verhält, sondern die Person, die das Fehlverhalten anspricht, muss sich Rücksichtslosigkeit zwangsläufig durchsetzen. Der Gruppendruck bringt derweil Zweifler zum Schweigen" [25]. 
Wir schließen uns daher folgendem Fazit an: "Als Fazit ist hier festzuhalten, dass Racial Profiling nicht das Ergebnis individueller rassistischer Einstellungen von Polizist*innen ist, das durch interkulturelle Schulungen oder eine bessere Repräsentation migrantischer Bevölkerung unter den Beamt*innen effektiv bekämpft werden kann. Stattdessen ist es wichtig anzuerkennen, dass die rassistischen Strukturen, die Racial Profiling zugrunde liegen, wie beispielsweise die Erlaubnis verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen, die zu beseitigende Ursache ist" [26].
 
Es braucht eine umfangreiche Kritik der Polizei 
 
Welche Möglichkeiten gibt es denn nun, wenn sich die Polizei doch solche Mühe gibt und sich das Problem scheinbar dennoch nicht auflösen lässt? Es braucht unabhängige Beschwerdestellen und unabhängige Kontrollinstanzen. Wenn nur die Polizei gegen die Polizei ermittelt, bleibt der Aufklärungswille natürlich gering. Wenn sich Menschen nur bei der Polizei über die Polizei beschweren können, wird die Dunkelziffer enorm hoch bleiben. Es braucht mehr Betroffenenberatungen, die sich wirklich für die Belange der Betroffenen einsetzen, sie sichtbar machen und ihre Geschichten erzählen. Es braucht eine umfangreiche Kennzeichnungs-, Dokumentations- und Rechenschaftspflicht für jeden Einsatz, jede Kontrolle und vor allem jede Gewaltanwendung. Es braucht eine Auflösung des Verständnisses, dass Polizist*innen als hochmoralische Organisation "gute Gewalt" gegen das "Böse" ausüben, indem diese Trennung aufgelöst wird [18]. 
Aber wieso fragen wir uns eigentlich, wie wir zu einer "besseren" Polizei kommen können und wieso glauben wir, dass historisch über Jahrhunderte erwachsene Strukturen durch Reformen einfach beseitigt werden können? 
Während weiße Menschen schon in der Schule lernen, dass die Polizei unser Freund und Helfer ist und Schwarze Kinder von ängstlichen Eltern den Ratschlag erhalten, stets unauffällig und besonders kooperativ zu sein, liegt die eigentliche Funktion der Polizei weniger beim Schutz der Bürger*innen eines Staates, sondern vielmehr beim Schutz der bestehenden Verhältnisse, von Eigentum und Reichtum sowie staatlicher Interessen. Der Polizeiapparat ist unter anderem entstanden, um das bürgerliche Leben zu regulieren, öffentliche Räume zu kontrollieren und Arbeiter*innenkämpfe niederzuschlagen und hier lassen sich historische Kontinuitäten erkennen: Das bedeutet zwangsläufig Repression, niemals Schutz und Hilfe - zumindest für einen bedeutenden Teil einer Gesellschaft im Kapitalismus. Die Polizei sichert letztlich das Gewaltmonopol des Staates und vertritt dessen Interessen***. Somit ist sie ein Herrschaftsorgan, deren Gewalt staatlich legitimiert und selten hinterfragt wird. Es ist nun mal grundsätzlich sehr schwierig, einer Organisation, deren Aufgabe Gewaltausübung ist, die Ausübung von Gewalt vorzuwerfen. Gerade in Deutschland besteht ein enormes Vertrauen in die Staatsgewalt und ihre Organe. Dass diese also trotz aller Fehltritte und der bedeutsamen Schnittmengen mit rechten Netzwerken mit der Ausweitung ihrer Befugnisse belohnt wird, ist erschreckend, aber leider nicht allzu verwunderlich [27] [28]. 
Gleichzeitig wurden im Zuge der Black Lives Matter Bewegungen Forderungen zum Defunding und selbst zur Abschaffung der Polizei zurück in den Diskurs gebracht. Vielleicht sollten wir uns also nicht überlegen, wie wir die Polizei besser machen können, sondern wie wir die "soziale Funktion" der Polizei selbst übernehmen und ihre Aufgaben anderweitig verteilen können. In vielen Fällen wären z.B. Sozialarbeiter*innen und/oder Sanitäter*innen viel eher als first response Teams geeignet (bei einem Nachbarschaftsstreit brauchen Herbert und Helga selten Uniform und Knarre, sondern eher kompetente Streitschlichter*innen). Auch Communities könnten Funktionen selbst übernehmen und auf Solidarität, Prävention und Bildung statt Sanktion und Repression setzen [29]. 
 
Dennoch: In einer kapitalistischen Gesellschaft braucht es eine Gruppe, welche die Staatsgewalt durchsetzt. Wenn wir über Alternativen zur Polizei nachdenken, müssen wir auch die Zwänge und Verhältnisse benennen, welche die Polizei notwendig machen und ihre Funktion sowie die gesellschaftlichen Bedingungen an der Wurzel hinterfragen. Rassistische Strukturen und polizeiliche Gewalt können nicht isoliert und unabhängig von einem System betrachtet werden, das darauf angewiesen ist, Gewinner*innen und Verlierer*innen zu produzieren und an ihrem Platz zu halten.
 
Ihr wollt mehr erfahren? Dieser Artikel ist Teil unserer Reihe zu Rassismus und Polizeigewalt. Schaut doch bei unserer Podiumsdiskussion am 12.11. vorbei! 
 
Du wurdest schon einmal Opfer rassistischer Polizeigewalt / von racial profiling oder warst Zeug*in? Du könntest potentiell betroffen sein oder fragst Dich, was Du tun könntest, würdest Du in Deiner Nähe eine Kontrolle oder Gewalt beobachten? Melde Dich bei unseren Workshops an, die wir mit KOP Kiel organisieren (https://www.asta.uni-osnabrueck.de/rassismus-polizeigewalt) oder informiere Dich hier: https://kop-berlin.de/schritte-gegen-polizeigewalt 
 
Wenn Du Unterstützung brauchst oder Vorfälle melden möchtest, melde Dich beim AStA oder wende Dich direkt an die Betroffenenberatung name it! des Exilvereins. 
 
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* Wir schreiben Schwarz groß, weil mit der Bezeichnung eine gesellschaftliche und soziale Positionierung einhergeht. Das große "S" ist Ausdruck einer Selbstermächtigung nicht-weißer Personen. Weiß schreiben wir dagegen klein und kursiv. Wir möchten hervorheben, dass die Bedeutung von Hautfarben sozial konstruiert ist. Mehr dazu:  https://diversity-arts-culture.berlin/en/node/75
**  Racial Profiling [...] bezeichnet polizeiliche Maßnahmen und Maßnahmen von anderen Sicherheits-, Einwanderungs- und Zollbeamt_innen, wie Identitätskontrollen, Befragungen, Überwachungen, Dursuchungen oder auch Verhaftungen, die nicht auf einer konkreten Verdachtsgrundlage oder Gefahr [...] erfolgen, sondern allein aufgrund von ("äußeren") rassifizierten oder ethnisierten Merkmalen – insbesondere Hautfarbe oder (vermutete) Religionszugehörigkeit. Mehr dazu: https://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/308350/racial-profiling-institutioneller-rassismus-und-interventionsmoeglichkeiten und in einer Studie, zu der auch Universitätsangehörige aus Osnabrück beigetragen haben: https://www.stop-racial-profiling.ch/de/forschung/
*** Die Polizei ist übrigens (eigentlich!) nicht der Rechtsstaat oder schützt diesen. Sie sichert das Gewaltmonopol. Die Begriffe werden gern mal miteinander verwechselt. 
 
Quellen
[23] María do Mar Castro Varela (2014): Interkulturelles Training? Eine Problematisierung. In: Darowska/ Lüttenberg/Machold:  Hochschule als transkultureller Raum? Kultur, Bildung und Differenz in der Universität Bielefeld: transcript, S.117–130