Ergebnisse der AStA-Befragung zur Lehrqualität und allgemeinen Situation der Studierenden im Wintersemester 2020 an der Universität Osnabrück

Durch die Corona-Pandemie hat sich auch das universitäre Leben drastisch verändert. So musste praktisch der gesamte Lehrbetrieb zum Sommersemester 2020 auf digitale Formate umgestellt werden, was in vielen Bereichen zu Schwierigkeiten geführt hat. Da uns diesbezüglich viele Beschwerden von Studierenden erreichten, die dort aufgezeigten Probleme von anderen universitären Stellen allerdings oft als “Einzelfälle” gewertet wurden, entschlossen wir uns zu einer Bestandsaufnahme in Form einer Studierendenbefragung. In dem damaligen Bericht konnten wir einige Probleme in den Bereichen der Lehre und des Umgangs mit der Coronapandemie feststellen. Seitdem sind nun einige Monate vergangen, ein neues Semester ist angebrochen und der Universitätsbetrieb konnte erste Lehren aus dem vergangenen Sommersemester ziehen. Um herauszufinden, welche Probleme inzwischen gelöst wurden und an welchen Stellen weiterhin unsere Unterstützung gebraucht wird, entschieden wir uns für eine weitere Befragung, an der insgesamt 1099 Studierende teilnahmen.
 
Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass es im Vergleich zum vorherigen Semester bereits erste Verbesserungen in einigen Bereichen zu verzeichnen gibt, darunter beispielsweise der Bereich der Lehrqualität. Andere Probleme sind hingegen geblieben und haben sich teils sogar verfestigt: So berichten 57,6 % der befragten Studierenden immer noch von einer “zu hohen” Arbeitsbelastung, während gerade einmal 1,4 % sie für “zu niedrig” halten; im Vergleich zu vor der Pandemie nehmen sogar 73,3 % den Arbeitsaufwand in ihren Lehrveranstaltungen als erhöht wahr. Auch der Datenschutz bleibt ein vernachlässigtes Thema in der digitalen Lehre und 70,8% der Teilnehmenden sagen aus, dass in ihren Veranstaltungen überhaupt nicht über Datenschutz gesprochen wurde.
 
Allerdings haben sich seit unserer letzten Befragung auch neue Problembereiche erschlossen. Beispielsweise geben 49,9 % der Befragten an, sich “selten” oder “(fast) nie” wohl und sicher mit der häufig von Lehrenden eingeforderten Webcamnutzung zu fühlen. Auch wurden 15 % der Teilnehmenden im Zuge der hybriden Lehre dazu verpflichtet, in Präsenz an einzelnen Terminen ihrer Seminare oder Vorlesungen teilzunehmen.
 
Bedenklich ist es zudem, dass 49,6 % der befragten Erstsemester angeben,  “eher schlecht” oder “sehr schlecht” sozialen Anschluss innerhalb ihres Studiengangs gefunden zu haben; außerhalb des Studiengangs waren es sogar 74,8 %. Die dadurch verstärkte soziale Isolation der Erstsemester bereitet uns nicht nur hinsichtlich ihres Lernerfolgs und des akademischen Austausches, sondern auch im Hinblick auf ihr psychisches Wohlbefinden Sorgen. Generell ist der aktuelle psychische Zustand aller Studierenden alarmierend: 32,0 % der Befragten berichten davon, dass ihr Lernerfolg “etwas” durch psychische Belastungen beeinträchtigt wird, während 43,6 % sogar von einer “merklichen” oder “starken” Beeinträchtigung sprechen. Im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie hat sich der psychische Zustand bei ganzen 78,0 % der Befragten verschlechtert. Diese gravierenden Resultate verdeutlichen noch einmal die absolute Notsituation, in der sich die Studierenden momentan befinden.
 
Insgesamt bleiben die Studienbedingungen während dieser “Corona-Semester” deutlich erschwert und viele Bereiche bedürfen dringender Kurswechsel. Dies wird insbesondere an dem mit 38,3 % als deutlich zu hoch anzusehenden Anteil an Studierenden deutlich, die seit Beginn der Pandemie über eine Studienunterbrechung oder gar einen Studienabbruch nachgedacht haben. Allen voran fordern wir von der Bundesbildungsministerin, Anja Karliczek, sowie von dem niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler, dringend auf die Notlage der Studierenden zu reagieren. Studierende brauchen endlich echte finanzielle Hilfen während der Pandemie. Auch muss die Nicht-Anrechnung auf die Regelstudienzeit auf alle digitalen beziehungsweise hybriden Semester ausgeweitet werden, damit pandemiebedingte Studienzeitverlängerungen nicht zu einem Verlust des BAföG-Anspruchs oder sogar zur Zahlung von Langzeitstudiengebühren führen. In unserer Umfrage können bereits 13,5 % der Befragten absehen, dass ihr Studium sich aufgrund der aktuellen Situation um mehr als ein Semester verlängern wird. Weitere 41,6 % wissen noch nicht, ob beziehungsweise wie lange sich ihr Studium verzögert.
Aber auch die Universität selbst und ihre Lehrenden stehen natürlich in der Verantwortung. Wir appellieren ein weiteres Mal an die Studiendekan*innen und alle Dozierenden, die Arbeitsbelastung der Studierenden zu reduzieren und nicht beispielsweise durch Webcam- oder Präsenzpflichten zusätzliche Unsicherheiten zu schaffen. Von der Universitätsleitung fordern wir insbesondere, dass Regelungen universitätsweit getroffen und zentral an alle Lehrenden und Studierenden kommuniziert werden. Aktuell werden die meisten Entscheidungen in die Hände der Fachbereiche oder sogar einzelner Fächer gelegt. Prinzipiell ist es natürlich löblich, wenn Unterschiede zwischen den Fachbereichen anerkannt und respektiert werden; momentan führt diese Strategie allerdings dazu, dass die Notlage der Studierenden in allen Fachbereichen und gegenüber vielen Dozierenden einzeln verdeutlicht und Verbesserungen ebenso einzeln erkämpft werden müssen. Die Bereitschaft zum Gespräch und das Verständnis für die aktuelle studentische Situation variieren zudem stark und viele Studierende trauen sich aufgrund der vorherrschenden Machthierarchien gar nicht erst, ihre Dozierenden zu kritisieren. Wenn Studierende dies dennoch tun, werden strukturelle Probleme oft verkannt und lediglich Einzelfalllösungen gesucht, anstatt das Problem für alle Studierenden einheitlich zu lösen. Dieser Zustand ist einfach nicht hinnehmbar. Im Hinblick auf die oben angesprochenen Präsenz- und Webcampflichten und beispielsweise auch im Bereich der Anwesenheitspflicht in digitalen Veranstaltungen könnten einheitliche Regelungen und deren zentrale Kommunikation an alle Universitätsangehörigen durch die Universitätsleitung ungemein Abhilfe verschaffen. 
 
In den vergangenen Monaten wurde auf kritische Äußerungen von unserer Seite oft angemerkt, dass die Qualitätsstandards des Normalbetriebs ja nicht an den Lehrbetrieb während der Pandemie angelegt werden können. Dies ist in vielerlei Hinsicht richtig. Allerdings bedeutet das nicht, dass inakzeptable Studienbedingungen einfach hingenommen werden müssen. Als Studierende und als Studierendenvertretung müssen wir weiterhin erwarten können, dass studentische Kritik gehört und ergebnisoffen untersucht wird. Die aktuelle Lage der Studierenden ist ernst, das konnten wir auf Basis unserer Befragung hoffentlich noch einmal verdeutlichen. Es wäre daher fatal, wenn die hier aufgezeigten Probleme als notwendiges Übel der Pandemie abgetan würden und Entscheidungsträger*innen sich hinter Sachzwängen und einer vermeintlichen Passivität versteckten, anstatt aktiv an einer Verbesserung der Studienbedingungen zu arbeiten.

Alle Ergebnisse haben wir auch erneut in einem ausführlichen Bericht zusammengetragen.

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English version

With the COVID-19 pandemic our university live changed drastically. Most of the courses during the summersemester 2020 had to be switched to online formats which led to problems on various levels. Since a lot of students contacted us with their complaints, which were usually presented as "single-cases" by other university departments, we decided to gather data on the status quo through a student survey. Only a couple of months have passed since then, a new semester started and the university could draw first conclusions from the summersemester. To find out which problems have been solved since then and where we still have to give support, we decided to to yet another survey, in which a total of 1099 students participated. 
 
The results of this survey show that, compared to the previous semester, there are a couple of improvements, for instance in the area of teaching quality. However, other issues persisted or got even more serious: for example, 57,6% of the participants still report that their workload is "too high", while merely 1,4% find it "too low"; compared to a pre-pandemic semester, even 73,3% perceive the workload for their courses as higher. Also, dataprivacy is still a neglected topic in digital courses and 70,8% report that the issue of dataprivacy has not been discussed in their courses at all. 
 
Additionally, new areas of concern have surfaced since our last survey. For example, 49,9% of the participants report that they "rarely" or "almost never" feel comfortable with using their webcam in courses, which is often required by lectureres. Also, 15% of participants have been required by their lecturers to be physically present in at least one sessions at the university.
 
It is worrying that 49,6% of the participating first-semester students feel "rather badly" or "very badly" connected to their fellow students within their course of study; outside of their own study programme it were even 74,8%. It is not only the following enforced social isolation of first-semester students that is worrying concerning their study success or academic exchange, it is also their psychological well-being. Generally, the psycholgical state of all students is alarming: 32,0% of participants report their study success was affected "slightly" through psycholgical strain, while 43,6% even report a "noteworthy" or "strong" effect. Compared to before the pandemic the psychological state has gotten worse for 78,0% of participants. These strong results clearly depict the current crisis students are in. 
 
Overall the situation for students in both Corona semesters have clearly been affected negatively and many areas urgently need change of course. This becomes especially clear through the 38,3% of participants that have thought about pausing or quitting their studyprogramme; this number is simply way too high. Before anyone else, we implore the Minister of Education, Anja Karliczek, and the Minister of Science and Culture of Lower Saxony, Björn Thümler, to react to the desperate situation of students. Students urgently need real financal support during the pandemic. Also, not counting semesters towards regular study-time has to be possible for all digital/hybrid semesters. This way studying longer because of the pandemic would not lead to losing financial support through BAFöG and could also prevent longterm study fees.  Already 13,5% of participants know that their course of study will be prolonged by more than one semester. 41,6% do not yet know if or for how long their course of study will be delayed. 
Furthermore, the university and its lecturers have to take responsibility. We prompt, yet again, all deans of study and all lecturers, to reduce the students' workload and to not create additional insecurities by enforcing obligations concerning webcam use or being present at the university. We especially implor the university presidents to find rules and regulations that are installed university-wide and communicated directly to all teaching staff and students alike. Currently, most decisions are made by the Fachbereiche or even single study programmes. It is generally positive that differences between the Fachbereiche are recognized and respected; however, this strategy leads to students and their problems being dealt with as single-cases, which also means that solutions and exceptions have to be faught every from scratch in every individual instance. Openness for discussing issues and understanding the current situation of students highly varies among the responsible parties and many students do not dare to critizise their lecturers due to prevalent power-dynamics. When students nonetheless do so, the structural component of the issue generally stays uncovered and mere individual solutions are sought instead of finding a uniform solution for all students. The current state is no longer acceptable. Concerning the mentioned issues of mandatory webcam usage or mandatory presence at the university or even in online sessions, uniform solutions and their communication to all university members by the university management could also rectify the situation. 
 
During the last months, our critical remarks were often met with the position that we could currently not use the same measures for evaluating the teaching quality as we do in normal times. And this is true in many regards. However, it does not mean that we have to accept unbearable study conditions. As students and as student representatives we still have to be able to expect our criticism to be heard and discussed openly. The current situation of students is grave, as we hope to have make clear on the basis of our survey. It would be fatal if the problems shown here would be dismissed as necessary evil of the pandemic and if decision makers would hide behind practical constraints and supposed passivity instead of activly working towards improving study conditions.