Was sich für das nächste Semester ändern muss: Unsere Zwischenbilanz zur studentischen Situation in der digitalen Lehre

Nachdem wir bereits die Resultate unserer Studierendenbefragungen zur studentischen Situation in den letzten beiden Semestern präsentiert haben [1][2], hat nun auch die Universität die Auswertung ihrer Umfrage zum Sommersemester 2020 veröffentlicht [3]. 
 
Aus unserer Sicht hervorzuheben sind insbesondere die Überschneidungen zwischen den Ergebnisse der universitären Umfrage mit den Erkenntnissen, die wir in unseren eigenen gewinnen konnten. Dies betrifft zum Beispiel das Kernproblem des erhöhten Arbeitsaufwandes: 90 % der Teilnehmenden unserer ersten Umfrage (AStA-SoSe20) sahen einen gestiegenen Aufwand, in der Befragung der Universität (Uni-SoSe20) berichteten dann 52,1 % von einem "höheren" und weitere 27,2 % von einem "deutlich höherem" Arbeitsaufwand. Unsere Folgebefragung (AStA-WiSe20/21) zeigte, dass in diesem Bereich noch keine nennenswerten Verbesserungen verzeichnet werden konnten. Hinzu kommen fehlende Arbeitsplätze, die das studentische Lernen erschweren: jeweils 38,8 % (AStA-WiSe20/21) und 45,0 % (Uni-SoSe20) der Befragten gaben an, nicht immer oder sogar nie Zugang zu einem Arbeitsplatz zu haben, an dem sie ungestört am Lehrbetrieb teilnehmen können. Der Ernst der allgemeinen Lage wird vor allem durch den Anteil der Teilnehmenden klar, die seit Beginn der Pandemie über einen Studienabbruch nachgedacht haben: insgesamt berichteten davon jeweils 17,2 % (Uni-SoSe20) und 19,1 % (AStA-WiSe20/21). Eine Studienunterbrechung erwägten laut unserer Umfrage weitere 19,2 % (AStA-WiSe20/21). 
 
Wir möchten uns an dieser Stelle ausdrücklich bei allen Beteiligten der universitären Befragung bedanken, durch die wir wertvolle neue Erkenntnisse gewinnen aber auch einige Resultate unserer eigenen Umfragen bekräftigen konnten. Jetzt allerdings gilt es auf Basis all dieser Einblicke auch zu handeln und die Situation im nächsten, immer noch digitalem Semester wirklich zu verbessern. Wir schlagen dafür folgende Grundsätze vor: 
 
 
1. Arbeitsbelastung reduzieren!
Wie oben beschrieben bleibt die hohe Arbeitsbelastung eines der Kernprobleme im Studium während der Corona Pandemie. Wo immer nötig sollte deswegen der Arbeitsaufwand wieder reduziert werden. Dies betrifft unter anderem die von vielen Dozierenden eingeführten (semi-)wöchentlichen Abgaben, die im normalen Betrieb gar nicht vorgesehen waren. Auch ein höheres Maß an Absprachen innerhalb einer Lehreinheit könnte Abhilfe verschaffen, da so beispielsweise schnell erkannt werden kann, wenn in zu vielen Veranstaltungen für das selbe Semester wöchentliche Abgaben geplant sind.
 
2. Kein Zwang zur Präsenz!
Studierende sollten sich nicht gezwungen sehen, das Infektionsrisiko in Form von Präsenzveranstaltungen und -prüfungen sowie der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zur Anreise auf sich zu nehmen. Dies gilt sowohl für Studierende aus Risikogruppen als auch für solche, die unabhängig davon einfach Angst um ihre Gesundheit und mögliche weitere Ansteckungen haben. Dies wird auch durch die Ergebnisse der universitären Umfrage deutlich, in der die Befragten Präsenzprüfungen als eher ungeeignet einschätzten (Uni-SoSe20). Eine Wahl zwischen Infektionsrisiko und Studienzeitverlängerung durch das "Schieben" von Kursen oder Prüfungen ist als Lösung nicht ausreichend: Wenn der Lehr- und/oder Prüfungsbetrieb in Präsenz stattfindet, muss wo irgendwie möglich auch eine online Alternative geschaffen werden.
 
3. Mehrbelastung der Studierenden bedenken!
Die psychische Situation der Studierenden hat sich drastisch verschlechtert (AStA-WiSe20/21) und Studierende mit Kind(ern) oder Pflegeverantwortung sind noch einmal stärker belastet als im regulären Lehrbetrieb (Uni-SoSe20). Wenn es daher um die Gestaltung der Lehre allgemein oder beispielsweise um individuelle Fristverlängerungen ganz konkret geht, ist es wichtig, dass diese Faktoren berücksichtigt werden. Studierenden sollte am Anfang des Semesters explizit kommuniziert werden, dass Alternativen und Lösungen gefunden werden können, wenn die individuelle Situation dies erforderlich macht.
 
4. Anonyme Rückmeldung von Studierenden einholen!
Oftmals haben Studierende zu viel Angst vor negativen Konsequenzen, um sich mit Beschwerden direkt an ihre Dozierenden zu wenden: ein großer Teil unserer Befragten fühlte sich maximal bei "manchen" Dozierenden sicher genug, Kritik offen zu äußern; viele sogar nur bei "wenigen" oder "(fast) niemandem" (AStA-WiSe20/21).  Um Probleme im Lehrbetrieb wirklich zu erkennen, sollten den Studierenden Möglichkeiten zur anonymen Kritik gegeben werden. Dafür können beispielsweise online Tools genutzt, eine freiwillige Vertrauensperson unter den Kursteilnehmenden benannt oder auf die Fachschaft als anonyme Anlaufstelle hingewiesen werden. Auch kurze anonyme Rückmeldungen aller Kursteilnehmenden zu einzelnen Fragen (z.B. zur Bewältigbarkeit des Arbeitsaufwands) sind ratsam, um die allgemeine Situation in einer Lehrveranstaltung zu erkennen und eventuell notwendige Änderungen einzuführen. Auch hierfür können online Tools zur Hilfe gezogen werden.
 
5. Weg mit der Webcampflicht!
Es ist absolut verständlich, dass es für Dozierende schwierig ist, vor einer Kamera ohne visuelles Feedback zu sprechen. Doch fühlt sich ein Großteil der Studierenden selten oder sogar (fast) nie wohl und sicher, wenn sie in einer Veranstaltung die Webcam einschalten (AStA-WiSe20/21). Diese Unsicherheit ist nachvollziehbar, denn die Situation unterscheidet sich stark von dem einfachen "gesehen-werden" im Präsenzbetrieb: Studierende wissen beispielsweise nie, ob sie nicht gerade frontal gefilmt oder abfotografiert werden. Auch haben Studierende häufig keine andere Wahl, als bei dem Anschalten einer Webcam Einblicke in private Wohn- und Schlafräume zu geben. Um angebracht auf die Sorgen und Ängste von Studierenden zu reagieren sollte daher auf eine verpflichtende Webcamnutzung in Veranstaltungen und Prüfungen verzichtet werden.
 
6. Regelungen zentral treffen und zentral kommunizieren!
Aktuell werden viele Entscheidungen in den Händen der Fachbereiche oder sogar der einzelner Fächer gegeben. Während es natürlich löblich ist, die individuellen Fächerkulturen zu honorieren, können strukturelle Probleme so nicht adäquat adressiert und gelöst werden. So müssen studentische Perspektiven in allen Fächern, manchmal sogar einzelnen Dozierenden, immer aufs Neue kommuniziert und studentische Errungenschaften wieder und wieder erkämpft werden. Unterschiede in der Kulanz erschweren diese Arbeit zudem. In Anbetracht der aktuell  Lage kann dies nicht so weiter gehen. Wir brauchen strukturelle Lösungen für alle Studierenden, die die Universitätsleitung im Austausch mit Studierenden und Lehrenden erarbeitet. Diese müssen zentral an alle Beteiligten kommuniziert werden, sodass Studierende sich nicht darauf verlassen müssen, dass Informationen verlässlich und ohne Missverständnisse von den einzelnen Dozierenden an sie weitergegeben werden.
 
Wir appellieren an alle Studiendekan*innen und Lehrenden, diese Grundsätze im kommenden Semester umzusetzen und so die Lernsituation während der digitalen Lehre zu verbessern. 
 
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